Leak durch "Neo Magazin Royale"NSU-Akten: Verfassungsschutz wohl zu untätig
Bis 2044 sollte ein Abschlussbericht des hessischen Verfassungsschutzes unter Verschluss bleiben, der nun gemeinsam von der ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" und der Organisation "Frag den Staat" geleakt wurde.
Viele Ungereimtheiten gab es im NSU-Prozess um die rassistisch motivierten Morde, die der sogenannte Nationalsozialistischen Untergrund, eine neonazistische terroristische Vereinigung in Deutschland, begannen hat. Zwischen 2000 und 2007 ermordeten die Mitglieder des NSU neun Menschen mit Migrationsgeschichte und eine Polizistin.
Bis heute beschäftigt insbesondere Angehörige, aber auch die Öffentlichkeit, wie viele Informationen über die verbrecherischen Aktivitäten des NSU dem hessischen Verfassungsschutz vorlagen. Und ob dieses Wissen möglicherweise dazu hätten beitragen können, dass Morde verhindert werden. Und ob sich der Verfassungsschutz möglicherweise mitschuldig gemacht hat, weil der Schutz von Ermordeten unterlassen wurde.
Ursprüngliche Verschlussfrist: 120 Jahre
Die nun von der ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" und dem Infoportal "Frag den Staat" gemeinsam geleakten "NSU-Akten", die noch bis 2044 unter Verschluss bleiben sollten, sind, wie man aufgrund der Bezeichnung annehmen könnte, keine Dokumentation über die Straftaten des NSU.
"Da steht zum Beispiel drin, dass der Verfassungsschutz Infos bekommen hat, die schlimm klingen. Und dann nichts gemacht hat."
Vielmehr befassen sie sich damit, wie der hessischen Verfassungsschutz mit Informationen umgegangen ist, die er von sogenannten V-Leuten (Verbindungs- oder Vertrauenspersonen) über die rechtsradikale Szene erhalten hat.
Der Bericht wurde als Verschlusssache eingestuft. Die Frist ging anfangs weit über das Jahr 2044 hinaus, bis zum Jahr 2134. Auch das erregte Skepsis in der Öffentlichkeit.
Beim Lesen der 173 Seiten eines vorläufigen zusammenfassenden Berichts aus dem Jahr 2013, sowie des finalen Berichts vom September 2014, werde ihm bange, sagt der Journalist Jan-Peter Bartels vom Hessischen Rundfunk.
"Was jetzt gut ist, ist, dass das Scheinwerferlicht noch einmal auf diesen Fall gelenkt wird. Das wird jetzt neu diskutiert, das ist gut."
Ein Beispiel, das er dafür nennt: Hinweise auf Waffen- und Sprengstoffbesitz bei Rechtsradikalen wurden dem geleakten Bericht zufolge nicht vom hessischen Verfassungsschutz überprüft oder nachverfolgt. Vetrauensbildend sei dieses "Dokument des Scheiterns" nicht, sagt der Journalist Jan-Peter Bartels.
"Über die Straftaten des NSU habe der hessische Verfassungsschutz keine relevanten Erkenntnisse in seinen Aktenbeständen gefunden. So lautet zumindest das zentrale Fazit, das die Berichterstatter*innen schon im vorläufigen Bericht bereits auf der zweiten Seite in gefetteter Schrift präsentieren."
Einsicht in das geleakte Dokument hatten bisher unter anderem die hessischen Landtagsabgeordneten, die Teil des NSU-Untersuchungsausschusses waren. Dazu zählte auch die amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die im März 2022 noch mehr Transparenz durch eine Veröffentlichung des Berichts forderte: "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man diesen Bericht veröffentlichen kann und Zugang ermöglichen sollte."
Angehörige von NSU-Opfern wünschen sich mehr Transparenz
In einer schriftlichen Stellungnahme hat der hessische Verfassungsschutz geäußert, dass es nicht seine Absicht war, "etwas zu vertuschen". Zudem gab das Amt bekannt, dass es Anzeige erstattet habe wegen der unrechtmäßigen Weitergabe von Verschlusssachen an unbefugte Dritten. Der Verfassungsschutz hat nicht ausgeschlossen, noch weitere Anzeigen zu erstatten.
"Schlimm und schlecht und unanständig - das war das Fazit der CDU."
Die hessische Regierungspartei CDU hat die Veröffentlichung stark kritisiert. Denn die Offenlegung des Dokuments könne Menschenleben gefährden und potenzielle Vertrauenspersonen abschrecken und damit die Arbeit des Verfassungsschutzes erschweren.
Lob für die Aktion kommt von den hessischen Oppositionsparteien, zum Beispiel der SPD und den Linken, aber auch von den Angehörigen der Opfer. Die Anwältin der Angehörigen des ersten NSU-Opfers, Seda Başay-Yıldız, äußerte, dass sie es beschämend finde, dass es Journalisten brauche, um das zu tun, was eigentlich die Aufgabe der Behörden sei, nämlich Transparenz zu schaffen.