NRA-Meeting in TexasWarum mehr Waffen nicht mehr Sicherheit bedeuten
Knapp eine Woche nach dem Amoklauf an einer Grundschule in Texas hat sich am Wochenende die National Rifle Association of America (NRA) zu ihrer Jahresversammlung getroffen. Auch in Texas. Dort haben sie ihre These "Mehr Waffen = mehr Sicherheit" bekräftigt. Doch die Zahlen zeigen: Es ist andersherum. Weniger Waffen würden für einen Rückgang solcher Massaker sorgen.
Am 24. Mai 2022 hat ein 18-Jähriger an der Robb Elementary School in der Kleinstadt Uvalde in US-Bundesstaat Texas 19 Schulkinder und zwei Lehrerinnen erschossen. Weitere Personen hat er verletzt – darunter seine eigene Großmutter.
Die Waffenlobbyistinnen und -lobbyisten der NRA tun alle Forderungen nach einer stärkeren Kontrolle von Schusswaffen – immer wieder und nach wie vor – als politische Spielchen der Demokraten ab. Stattdessen fordern sie ganz im Gegenteil mehr Waffen an Schulen – damit man sich da besser schützen könne.
"Grundsätzlich gilt: Wo Waffen zum Alltag gehören, ist die Hemmschwelle für ihren Einsatz niedriger."
Die These der NRA, mehr Waffen würden für mehr Sicherheit sorgen, stimmt nicht, sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Armin Himmelrath. Die Argumentation des US-Präsidenten, der am Sonntag (29. Mai 2022) in Uvalde der Getöteten gedacht und Blumen niedergelegt hatte, mache hingegen Sinn. Joe Biden hatte die Gleichung "Strengere Waffengesetze = weniger Waffen = weniger Massaker" aufgestellt.
Psychische Ausnahmesituationen
Das sei auch nicht weiter verwunderlich: Entweder befindet sich ein Täter – meistens sind es Männer – in einer psychischen Ausnahmesituation. In diesem Fall handelt er impulsiv und nimmt die Waffe(n), die er gerade unkompliziert zur Verfügung hat. Zum Beispiel die, die im eigenen Haus oder im Haus der Eltern aufbewahrt werden.
"In Deutschland befinden sich pro 100 Einwohner 19,6 Schusswaffen im Privatbesitz, in den USA sind es 120,5 und damit weltweit die meisten."
Bei geplanten, möglicherweise monatelang vorbereiteten Taten ist dieser Effekt nicht mehr ganz so stark. Waffen lassen sich natürlich auch illegal besorgen. Ganz grundsätzlich gelte allerdings: Wo Waffen zum Alltag gehören, ist die Hemmschwelle für ihren Einsatz niedriger. Im Vergleich: In Deutschland befinden sich pro 100 Einwohner 19,6 Schusswaffen im Privatbesitz, in den USA sind es 120,5 und damit weltweit die meisten.
Mehr Waffen töten auch mehr Menschen
Die NRA argumentiert: Wenn die Betroffenen bei Angriffen bewaffnet wären, könnten sie sich wehren. Wissenschaftliche Befunde, die diese Sichtweise unterstützen, gibt es allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Je mehr Waffen im Umlauf sind, desto mehr Getötete gibt es auch durch Waffen – auch mehr Suizide und erweiterte Suizide.
"Je mehr Waffen im Umlauf sind, desto mehr Getötete gibt es auch durch Waffen – auch mehr Suizide und erweiterte Suizide."
Im Jahr 2020 sind in den USA etwa 4300 Kinder durch Waffen getötet worden, das war die häufigste Todesursache. In dieser Situation noch mehr Waffen zu verbreiten, wäre absurd, sagt Armin Himmelrath. Ein Problem, das durch die leichte Verfügbarkeit von Waffen entsteht, könne man nicht mit noch mehr Waffen lösen.
Was man nicht hat, kann man auch nicht benutzen. Diese bestechende Logik zeige sich unter anderem in Neuseeland, Finnland, Großbritannien und auch in Deutschland. Eine Verschärfung der Waffengesetze führt zu weniger Toten durch Waffengewalt.
Der Blick auf die Täter
Um Massaker wie das an der Robb Elementary School in Uvalde zu verhindern, müsste man neben strengeren Waffengesetzen auch die Menschen stärker in den Blick nehmen, die solche Taten verüben, sagt Armin Himmelrath. Was treibt sie an, wie entwickeln sie ihre Pläne, wie gehen sie konkret vor?
Die Psychologin Sarah Neuhäuser hat sich über mehrere Jahre weit über 2000 Amokdrohungen an Schulen in Deutschland angeschaut – von diesen erst mal "nur" Drohungen gibt es übrigens durchschnittlich mehrere pro Woche.
"Fast immer kommunizieren potenzielle Täter vorher über ihre Pläne."
Eines der Ergebnisse: In so gut wie allen Fällen kommunizieren potenzielle Täter vorher über ihre Pläne. Sie weihen andere ein, posten etwas im Netz oder lassen mal eine Provokation fallen. Wenn es dann zu Taten kam, zeigte sich anschließend, dass es eigentlich immer solche Leaks gegeben hat – sie wurden aber entweder übersehen oder eben nicht ernst genommen.
Genau hier könnte also ein guter Präventionsansatz für Schulen liegen. Wie das gehen kann, zeigt ein Programm aus Skandinavien namens "Give everyone a star".
Präventionsprogramm "Give everyone a star"
Das Lehrerkollegium versammelt sich, an der Wand hängen die Namen aller Schülerinnen und Schüler einer Schule. Dann markiert jede Lehrkraft die Personen, von denen sie das Gefühl hat, einigermaßen zu wissen, wie es ihnen geht und mit wem sie befreundet sind. Neben diese Namen kleben die Lehrer*innen dann einen kleinen Stern.
Am Ende haben einige Schüler*innen viele Sterne, einige weniger – und ein paar ganz wenige vielleicht gar keinen. Diese Personen hat also quasi niemand aus dem Kollegium so richtig auf dem Radar. Und genau das sind gewissermaßen die potenziellen Risikofälle. Das Kollegium entscheidet dann, welche Lehrerin oder welcher Lehrer dann so ein bisschen einen Blick auf diese Schüler hat. Das Ziel: Mögliche undichte Stellen im Vorfeld einer möglichen Tat entdecken.
In Deutschland gibt es diesen Ansatz noch nicht flächendeckend. Nach den Gewalttaten von Erfurt, Emsdetten und Winnenden wurde zwar darüber diskutiert, doch im Laufe der Zeit ist das Interesse dann wieder abgeflaut.