Rückgabe-DebatteNofretete-Büste: Raubkunst oder nicht?

Recht emotional und kontrovers wird die Debatte darüber geführt, ob die Büste der Nofretete als Raubkunst gewertet werden sollte. Die Büste wurde 1912 in Ägypten entdeckt und im darauffolgenden Jahr offiziell nach Berlin gebracht. An die Debatte ist die Frage nach einer möglichen Rückgabe gekoppelt.

Sie ist eine uralte Antiquität und zugleich auch eine unvergleichlich seltene Rarität: Die Büste der Nofretete. Gefertigt wurde die 50 Zentimeter hohe Büste aus dem Alten Ägypten schätzungsweise zwischen 1353 und 1336 vor Christus.

"Ludwig Borchardt hat damals (1912) in sein Tagebuch geschrieben: 'Beschreiben nützt nichts, ansehen!' Ihm war damals also schon klar, wie schön, wie bedeutend die Büste sein muss."
Tilo Spanhel, Korrespondent im ARD-Studio Kairo

Sie besteht aus Kalkstein, Stuck, ist bemalt und die Augenhöhlen sind mit Bergkristallen verziert – der Materialwert dürfte somit zu vernachlässigen sein. Allerdings zählt sie zu den bekanntesten Kunstschätzen aus ihrer Zeit und gilt als Meistwerk der Bildhauerkunst. Ihre Einzigartigkeit macht sie daher unendlich kostbar. Rund 500 Millionen US-Dollar ist sie wert. Ausgestellt ist sie im Neuen Museum in Berlin.

Ist es gerecht, dass Deutschland der rechtmäßige Eigentümer ist?

Und ihr Standort steht auch im Kern einer Jahrzehnte andauernden Debatte, ob die Büste sich rechtens in Deutschland befindet oder an ihren ursprünglichen Fundort zurückgebracht werden sollte.

Entdeckt wurde die Büste 1912 in einer archäologischen Fundstelle in Tell el-Amarna, rund 300 Kilometer südlich von Kairo. Im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft hatte das Team um Ludwig Borchardt sie ausgegraben. Ägypten war ab 1914 britisches Protektorat, und es gab eine Fundteilung, also eine Vereinbarung darüber, wie archäologische Fundstücke aufgeteilt werden.

Demnach sollte die Hälfte in Ägypten verbleiben und die andere Hälfte das Land verlassen. 1913 wurde das Kunstwerk nach Deutschland gebracht und am 1. April 1924 – vor genau 100 Jahren – zum ersten Mal öffentlich in Berlin ausgestellt.

Bewusste Täuschung Ägyptens durch Archäologen?

Die genauen Umstände des Fundes lassen sich inzwischen nicht mehr genau rekonstruieren. Ein Punkt, der dabei kontrovers diskutiert wird, ist die Frage, ob Ludwig Borchardt bewusst den Wert der Antiquität verschleiert habe, um sie nach Deutschland mitnehmen zu können. Es gibt die Behauptung, dass er sie mit Matsch beschmiert haben soll, um sie wertloser erscheinen zu lassen.

"Man muss sich vor Augen führen, dass damals der ägyptische Antikendienst, der verantwortlich für diese Aufteilung war, unter französischer Leitung war, nicht ägyptischer."
Tilo Spanhel, Korrespondent im ARD-Studio Kairo

Viele Ägypterinnen und Ägypter sprechen sich dafür aus, dass die Büste an ihren Ursprungsort zurückkehren sollte. Für sie ist die Büste ein unabdingbarer Teil ihrer Geschichte, ihrer Kultur und des kulturellen Erbes. Auch als wirtschaftlicher Faktor könnte sie den Tourismus ankurbeln, wenn sie wieder an ihren Fundort zurückkehrt.

Es gibt aber auch Ägypter, die der Meinung sind, dass die Büste an ihrem jetzigen Standort sicherer und geschützter aufgehoben ist als das in Ägypten der Fall wäre, berichtet unser Korrespondent Tilo Spanhel.

Auch bei den Historikern und Historikerinnen gehen die Meinungen auseinander. Viele – vor allem in Deutschland – gehen davon aus, dass damals alles rechtmäßig gelaufen sei. Andere plädieren dafür, dass das nach rund 100 Jahren sowieso keine Rolle mehr spiele und das Kunstwerk zurückgebracht werde sollte.

"Es ist eigentlich auch vollkommen egal, wie es damals rechtmäßig gewesen ist, weil das jetzt 100 Jahre her ist und unter einer Fremdherrschaft passiert ist."
Tilo Spanhel, Korrespondent im ARD-Studio Kairo

Die Debatte währt schon seit Jahrzehnten. Es gab bereits mündliche Zugeständnisse aus der Politik: Vor rund vier bis fünf Jahren habe der zuständige Minister noch eine Rückgabe von Kunstwerken ausländischen Ursprungs, die unter unklaren Bedingungen nach Deutschland gekommen sind, in Aussicht gestellt, sagt Tilo Spanhel. Seitdem sei auf politischer Ebene in Deutschland aber nicht mehr viel passiert, fasst unser Korrespondent zusammen.