Leerstand in niederländischen GefängnissenFrischer Wind in leeren Zellen
In einem Amsterdamer Ex-Knast schlürfen heute Künstler ihren Cappuccino. Es ist eins von fünf Gefängnissen, das Holland im vergangenen Jahr dicht gemacht hat - die Verbrecher werden nämlich immer weniger.
In anderen Ländern sind die Zellen überfüllt. In Holland nicht - dort sinkt die Kriminalitätsrate seit Jahren. Die Zahl der Häftlinge hat sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert, was zur Folge hat, dass im vergangenen Jahr landesweit insgesamt fünf Gefängnisse ersatzlos geschlossen wurden. Wir waren in so einem Geister-Knast.
Einbuchten gilt als überholt
Diek de Teun - pensionierter Gefängniswärter - führt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Paula durch seinen ehemaligen Arbeitsplatz. Es ist ein Labyrinth aus Fluren, rechts und links leere Zellen. In dem großen Betonbau mit sechs Türmen hat Diek de Teun früher über 700 Straftäter bewacht. Zuletzt waren nur noch zehn Prozent der Zellen belegt. Die wenigen Insassen zogen vergangenen Sommer in eine andere Haftanstalt.
Das Gefängnis in Amsterdam ist kein Einzelfall: 19 von 85 Haftanstalten haben ihren Betrieb eingestellt, fünf davon allein 2016.
Monique Schippers, Leiterin der niederländischen Gefängnisbehörde, erklärt sich das teilweise mit der alternden niederländischen Gesellschaft, denn Ältere begehen weniger Straftaten.
"Die Bevölkerung in den Niederlanden wird alt und damit auch weise, könnte man sagen, denn wenn Leute älter werden, begehen sie weniger Straftaten."
Sozialdienst oder Fußfessel
Der demographische Wandel allein ist aber nicht ausschlaggebend. Schließlich nimmt das Durchschnittsalter auch in den Ländern Europas zu, in denen die Gefängnisse voll sind: Deutschland, Frankreich oder England.
Entscheidend sei viel mehr, sagt Schippers, dass in den Niederlanden Straftaten seltener mit Gefängnis und öfter mit alternativen Strafen geahndet werden.
"Unsere Richter sollen öfter alternative Strafen verhängen. Zum Beispiel Sozialdienste oder elektronische Fußfesseln. Das reduziert die Zahl der Inhaftierten."
Alternativ bestrafen mit Erfolg
Der Ansatz geht zurück auf Studien des Kriminologen James McGuire. Der Brite analysierte in den 90ern, warum Straftäter rückfällig werden. Sein Ergebnis: Freiheitsstrafen erhöhen die Chancen, dass Verbrecher nach Absitzen der Strafe wieder kriminell werden. Sinnvoller seien Bewährungsstrafen, Sozialdienste, elektronische Fußfesseln oder auch Geldstrafen. Daran haben sich die Niederlande orientiert.
Außerdem sind die Mitarbeiter in den Gefängnissen ausgebildete Sozialarbeiter und nicht bloß Wärter. Sie unterstützen die Inhaftierten intensiv bei der Job- und Wohnungssuche oder helfen ihnen, angehäufte Schulden loszuwerden, bevor die Haft endet.
Das alles führt dazu, dass die Rückfallquoten sinken und die Haftanstalten sich leeren. Außerdem bieten die verlassenen Gefängnisse jetzt Raum für Künstler oder Startup-Gründer. Die schätzen das besondere Ambiente der Gefängnisse und haben Wände gestrichen und den Innenhof dekoriert.
Neues Zuhause für Geflüchtete?
Gleich nebenan - sechs Gefängnistürme weiter - sind mehrere Hundert Geflüchtete eingezogen. Die Zellen wurden renoviert und mit Toiletten und Duschen ausgestattet. Samer ist einer von Dutzenden Geflüchteten, die in der Unterkunft ein kleines Café betreiben. Der Syrer hofft aber, bald eine richtige Wohnung zu finden. Solange er im Ex-Gefängnis lebe, erzählt er, fühle er sich auch wie ein Gefangener.