Nationalismus bei der EMUnited oder divided by Football?

Wolfsgruß, Hass gegen Serben und "L’amour toujours" mit ausländerfeindlichem Text – bei der laufenden Fußball-EM gab es bereits mehrere nationalistische Vorfälle. Wird das Turnier dem UEFA-Slogan "United by football" überhaupt gerecht?

Es ist die 59. Minute im Fußball-EM-Spiel gegen Österreich, als Merih Demiral mit seinem zweiten Tor ein Doppelpack schnürt und der Türkei das Weiterkommen ins Viertelfinale sichert. Bei seinem anschließendem Jubel streckt er beide Arme in die Höhe und zeigt den Wolfsgruß.

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Später postet er ein Bild davon auch auf Instagram. In einem Interview sagte der Spieler, er sei stolz, Türke zu sein, er habe nur seine Freude ausdrücken wollen, ohne eine politische Botschaft zu senden. Er hoffe auf weitere Gelegenheiten, die Geste zeigen zu können.

Graue Wölfe - Eine Türkei nur für Türken

Der Journalist Ronny Blaschke beschäftigt sich mit politischen Themen und Rechtsextremismus im Fußball. Der Wolfsgruß, sagt er, wirkt zunächst harmlos und ist in der Türkei sowie bei türkeistämmigen Menschen in Deutschland verbreitet. Doch hinter der Symbolik stecke die Ideologie der Grauen Wölfe, die rassistisch, gewaltverherrlichend und nationalistisch sei.

"Es handelt sich um eine rassistische, gewaltverherrlichende, nationalistische Ideologie. Da steht das Türkentum über allem. Sie wünschen sich eine Türkei nur für Türken."
Ronny Blaschke, Journalist

Die Grauen Wölfe propagieren ein Türkentum, das über allem steht, mit einer Türkei nur für Türken, so der Journalist. Seit den 70er-Jahren habe es dabei immer wieder gewaltsame Übergriffe gegeben, besonders gegen kurdisch-alevitische Menschen.

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"Durch die EM und den Spieler Demiral wurde der Wolfsgruß fast schon normalisiert", sagt Ronny. Auch der Ex-Nationalspieler Mesut Özil, eine prominente Identifikationsfigur für türkischstämmige Jugendliche in Deutschland, sympathisiert öffentlich mit den Grauen Wölfen und hat sich ihr Symbol auf die Brust tätowiert.

Graue Wölfe vom Verfassungsschutz beobachtet

In der Türkei sei Präsident Erdogan auf die rechtsextreme Partei MHP angewiesen, der politische Arm der Grauen Wölfe. Fußball sei dort stark nationalistisch und ein Sprachrohr dieser Politik. Die Grauen Wölfe sind keine zentral organisierte Partei, sondern eine weit verzweigte Bewegung, die auch in Ländern mit großen türkischstämmigen Gemeinschaften, besonders in Deutschland, eine Rolle spielt, so Ronny.

Die Bewegung ist in Deutschland nicht verboten, wird jedoch vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch beobachtet. Die Grauen Wölfe nutzen die EM, um ihre Symbolik und Kontakte zu normalisieren und im Fußball Stärke zu zeigen, sagt Ronny. Auch ohne direkte Gewalt würden sich kurdisch-alevitische und linksstehende türkeistämmige Menschen eingeschüchtert fühlen und den öffentlichen Raum meiden.

Fußball-EM: Mord-Aufrufe und Nazi-Parolen

Bei der EM fielen auch Fans aus anderen Nationen mit rechtsextremen Parolen auf. Österreichische Anhänger zum Beispiel hielten ein "Defend Europe"-Banner hoch – ein Slogan der Identitären Bewegung. Andere sangen Nazi-Parolen zu dem Song "L’amour toujours" von Gigi D'Agostino. Albanische und kroatische Fans skandierten "Tötet Serben". Serbische Fans sollen ehemalige Kriegsverbrecher gefeiert haben.

"Österreichische Fans haben ein Banner hochgehalten, da stand 'Defend Europe' drauf. Das ist ein Slogan der rechtsextremen Identitären Bewegung."
Celine Wegert, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Negativ aufgefallen ist auch ein albanischer Spieler mit nationalistischen Gesängen vor den Fans. Ein kosovarischer TV-Reporter wurde von der Berichterstattung ausgeschlossen, weil er gegenüber serbischen Fans die umstrittene Doppeladler-Geste machte.

Fußball und Politik nicht zu trennen

Ähnliche Vorfälle habe es auch in der Vergangenheit gegeben. Mit dem erweiterten Teilnehmerfeld von 24 Nationen, darunter kleinere osteuropäische Länder, aber auch durch soziale Medien und Sponsoren aus Katar und China, sei alles aber nochmals politischer geworden. Das dürfte auch zukünftig so bleiben, so der Sportjournalist.

"Fußball und Politik war noch nie zu trennen und es wird auch nicht zu trennen sein."
Ronny Blaschke, Journalist

Fußball und Politik waren nie zu trennen und bleiben untrennbar, sagt Ronny. So sei der UEFA-Slogan "United by Football" schon eine sehr politische Aussage. Auf der anderen Seite möchte der Verband Demonstrationen vermeiden oder nur solche Botschaften zulassen, die der eigenen Marketingstrategie entsprechen würden.

Es fehlt an Wissen und Prävention

Bei rassistischen, rechtsextremen oder homophoben Vorfällen gibt es einen Drei-Stufen-Plan: Spielunterbrechung, Mannschaften in die Kabine schicken, Spielabbruch. Bisher sei die Maßnahme aber kaum angewendet worden. "Wenn wir es dann mit versteckten Codierungen zu tun haben, die die Geschichte des Balkans aufgreifen oder der Wolfsgruß, da fehlt einfach ganz viel Wissen", meint der Journalist.

"Wenn wir es hier mit versteckten Codierungen haben, die die Geschichte des Balkans aufgreifen, oder der Wolfsgruß, da fehlt einfach ganz viel Wissen."
Ronny Blaschke, Journalist

Es sei dringend nötig, viel stärker in Prävention, Bildung und Forschungsprojekte zu investieren. Fußball sei aber auch ein Symbol für den Verfassungsschutz und die Politik, die ein Thema wie das der Grauen Wölfe lange Zeit nicht ernst genug genommen haben.

Fußball muss diverser werden

Auch in Sachen Diversität nimmt Ronny die Verbände in die Pflicht: "Wir haben diverse Mannschaften, aber wir haben so gut wie überhaupt keine schwarzen oder nicht-weißen Personen in Führungsgremien oder unter den Schiedsrichtern", sagt er. Außerdem sei es unglaubwürdig, wenn Verbände mit Vielfalt werben, aber sich beispielsweise auf Sponsoren wie Katar einlasse.

"Wir haben diverse Mannschaften , aber wir haben so gut wie überhaupt keine schwarzen oder nicht-weißen Personen in Führungsgremien."
Ronny Blaschke, Journalist

Fans sollten aber auch bei sich ansetzen. Deutschland sei da mit einigen Fangruppen gut dabei – mit "Roots"zum Beispiel, eine Selbstorganisation, in der auch schwarze und migrantisch geprägte Fußballerinnen und Fußballer eine Lobby bekommen. "Ich glaube, dass es dann auch bunter zugehen kann mit dem Fußball in einigen Jahren", hofft Ronny.