Rechtsextremismus und VerschwörungsdenkenNatascha Strobl: "Rassismus gibt es auch, weil man so sein will"
"Rassismus oder Antisemitismus gibt es nicht einfach, weil man es nicht besser weiß, sondern auch, weil man so sein möchte", sagt die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Natascha Strobl. Sie verfolgt seit Jahren die Entwicklung des Rechtsextremismus in Europa und ist Mitautorin eines Handbuchs über die Bewegung der sogenannten "Identitären".
Die Corona-Pandemie hat rechtsextremem Denken Auftrieb gegeben, sagt Natascha Strobl. Der organisierte Rechtsextremismus – also zum Beispiel Parteien oder Kameradschaften – sei zwar weitestgehend stabil geblieben. Was ihr aber Sorgen macht, ist ein sehr diffuses Spektrum um diese organisierte Seite des Rechtsextremismus herum, das sich immer mehr ausweite.
Das diffuse rechtsextreme Spektrum wird größer
Das Diffuse dieser Szene mache es auch so schwer, sie einzuordnen – bei Anti-Corona-Demos etwa liefen Familien neben Hippies neben Neonazis neben vielen anderen. Da mischen sich viele Spektren, so Natascha Strobl, und da werden auch Allianzen geschmiedet. Klar sei: Indem sie mitlaufen, akzeptierten diese Menschen eben auch rechtsextremes Gedankengut und Verschwörungsmythen.
"Das ändert nichts daran, dass diese Demonstrationen strukturell rechtsextrem sind."
Viele der Menschen in diesem diffusen Spektrum, glaubt Natascha Strobl, stecken nicht direkt im rechtsextremen System oder haben ihr Leben rechtsextremen Ideen verschrieben. Sie seien aber sehr schnell in eine bestimmte Szene hineingerutscht und seien sehr motiviert, sich dort zu beweisen.
Auch stehen nicht alle diese Menschen und Organisationen miteinander in Kontakt oder haben die gleichen Ziele, sagt die Politikwissenschaftlerin. Aber: Es habe sich ein neuer Diskursraum aufgetan, in dem sich nicht nur viele Menschen und Organisationen sammelten, sondern der auch als radikalisierende Blase funktioniere. Eine große Rolle – gerade in der Pandemie – spiele dabei das Internet.
"Das Internet spielt eine der wichtigsten Rollen. Aber man darf auch nicht vergessen, dass es keine getrennten Sphären gibt."
Gerade beim Entstehen von Hass sei das Internet besonders wichtig, Radikalisierung laufe oft in Kommentarspalten ab. Allerdings lassen sich digitale und reale Welt gar nicht mehr trennen, so die Politikwissenschaftlerin, sie gehen vielmehr ineinander über.
Aber gerade jetzt in der Pandemie, wo viel mehr Menschen zu Hause sind, spiele das Internet eine noch wichtigere Rolle. Die Radikalisierungsprozesse funktionieren derzeit viel schneller, sagt Natascha Strobl – und zwar, weil wir uns online mit viel mehr Leuten umgeben können. Diese Tatsache verändere dann eben auch, wie Rechtsterrorismus funktioniere.
Identität als Waffe
Eine zentrale Frage in Natascha Strobls Arbeit ist auch die nach der Identität: Was passiert, wenn wir die eigene Identität nutzen, um andere abzuwerten? Wenn wir die eigene Identität absolut setzen? Wenn wir sie rund um "Nation", "Rasse" und "Kultur" konstruieren und daraus eine Art Krieg gegen andere basteln?
"Was diese kulturelle oder nationalistische Identität macht: Sie spitzt alles auf eine Identität zu - und der muss ich mich auch unterwerfen. Und die ist statisch, die kann ich nicht verändern.“
Für die Politikwissenschaftlerin ist eine "kulturelle oder nationalistische Identität" problematisch. Denn dadurch betrachteten sich einige nur als Teil der deutschen Kultur, der europäischen Kultur, der weißen Rasse. Das sei wie ein geschichtlicher Auftrag und könne nicht mehr kritisch hinterfragt werden. Diese Identität stellt einen gegen alle anderen, erklärt Natascha Strobl – und wird so zur Waffe.
Lost in der Bubble
Ein Mittel dagegen: die Auseinandersetzung mit anderen Menschen, Perspektiven und Situationen. Das sei wichtig, ginge aber gerade in der Pandemie verloren: Wir laufen Gefahr, uns in Blasen zu verlieren, so die Rechtsextremismusforscherin.
Durch die Hilfe des persönlichen Umfelds, der eigenen Familie etwa, sei es zwar möglich, aus dieser Blase auch wieder herauszukommen. Doch sei es wichtig zu begreifen, dass viele Menschen, die rechtsextrem denken, gebildet sind und aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Anders ausgedrückt: Natascha Strobl glaubt, dass wir die Gründe für Rassismus, Antisemitismus oder auch Frauenhass nicht bloß in Unwissenheit suchen dürfen, sondern dass uns klar sein muss, dass sich Menschen auch bewusst dafür entscheiden.
"Ich möchte davor warnen, Rassismus, Antisemitismus oder auch Misogynie als etwas zu sehen, wo nur Bildung oder eine andere Sicht fehlt."
Natascha Strobl und Sebastian Sonntag haben noch über viel mehr gesprochen. Zum Beispiel darüber, warum Verschwörungsmythen gerade in Pandemie-Zeiten so sehr Konjunktur haben, was sie so gefährlich macht und warum viele Rechtsextreme erst so spät auf den Corona-Zug aufgesprungen sind. Außerdem geht es um den weder kleinen noch feinen Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und der Freiheit, andere zu diskriminieren. Und auch Hass im Netz, Maßnahmen dagegen und Hilfe für Menschen, die Opfer von Hass im Netz geworden sind, sind Thema. All das und mehr hört ihr, wenn ihr auf Play klickt. Was zum Raten gibt es dann auch.