Geschichten weitererzähltWas wurde aus Hildegard Knottenberg-Bierke und der einsamen Toten?
Wenn ein Mensch stirbt, gibt es viel zu regeln. Nachlasspflegerin Hildegard Knottenberg-Bierke übernimmt diese Aufgabe für Menschen, die alleine waren. Oft ist es ein zäher Weg, Verwandte zu finden. 2017 hat Vera Pache die Arbeit der Nachlassverwalterin dokumentiert und ist dabei auf den Fall von Brigitte Bachmann* (Name geändert) gestoßen. 8000 Euro hatte sie zu vererben, doch Verwandte hatte die Tochter einer Waisin anscheinend nicht. Bis jetzt.
Anmerkung: Dieser Text ist die Grundlage für einen Radiobeitrag. Der beinhaltet Betonungen und Gefühle, die bei der reinen Lektüre nicht unbedingt rüberkommen. Außerdem weichen die gesprochenen Worte manchmal vom Skript ab. Darum lohnt es sich, auch das Audio zu diesem Text zu hören.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Wenn jetzt doch einer von den Erben hin will, kann er auch mal ein Röschen drauflegen oder so.
Vera Pache: Ja, ein ganz schlichter Stein. Einfach Stein, Ruhestätte und der Name.
Hildegard Knottenberg-Bierke zeigt mir ein Foto vom Grab von Brigitte Bachmann. Es ist ganz schlicht gehalten.
"Betonplatte oder eine Grauwacke soll es sein. Aber ich habe fast das Gefühl, das ist Beton. Ist mir aber auch egal - sieht auf jeden Fall ordentlich aus."
Wenn Hildegard Knottenberg-Bierke sich um den Nachlass einer Person kümmert, dann muss sie wahnsinnig viel organisieren, Konten auflösen, die Beerdigung organisieren oder Versicherungen und Daueraufträge kündigen. Sie muss auch das Geld zusammenhalten. Denn, wenn kein Geld mehr da wäre, dann müsste der Staat einspringen. Im Fall von Brigitte Bachmann ist ihr das gut gelungen.
In den Unterlagen von Brigitte Bachmann hat sie Hinweise gefunden, dass sie bereits eine Grabstelle bezahlt hatte. Nämlich damals, als ihr Mann gestorben war. Aber bei den zuständigen Ämtern wollte man ihr das zunächst nicht glauben.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Dann hab ich das dann nochmal gesagt: Ja kann aber nicht. Da müssen wir mal gucken und auf einmal: ja doch sie haben Recht.
Vera Pache: Da haben Sie dann ein bisschen Geld gespart, oder?
Hildegard Knottenberg-Bierke: Sicher, das ist das teuerste Grundstück in Köln - der Friedhof.
Nachlass verwalten: Hartnäckig und sorgfältig
Hildegard Knottenberg-Bierke geht mit dem Geld der Verstorbenen so um, als wäre es ihr eigenes. Wenn sie Schmuck verkauft, dann verhandelt sie ordentlich.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Ich habe festgestellt dass ich doch Sachen besser verkaufen konnte, als es erst aussah.
Und wenn die Baugesellschaft die Wohnung der Verstorbenen renovieren will, dann sagt sie: Können sie gerne machen, aber nicht mit dem Geld aus dem Erbe.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Die Wohnung konnte übergeben werden, ohne dass wir Kosten damit hatten.
Wenn einsame Menschen sterben
Hildegard Knottenberg-Bierke ist eine sehr hartnäckige und sorgfältige Nachlassverwalterin. Und im Fall von Brigitte Bachmann ist deswegen mehr übrig geblieben als sie vor zwei Jahren gedacht hatte: Statt der ursprünglich geschätzten 2000 Euro waren das unterm Strich ungefähr 8000 Euro.
"Und dann hab ich mich an die Erbensuche gemacht weil es war ja jetzt etwas zu erben da und das war recht schwierig."
Wenn einsame Menschen wie Brigitte Bachmann sterben, dann beginnt für Hildegard Knottenberg-Bierke die Suche nach möglichen Erben. Dafür muss sie Geburts- und Sterbeurkunden beantragen. Als Nachlasspflegerin und Erbenermittlerin darf sie das. Im Fall von Brigitte Bachmann war es aber besonders kompliziert. Sie hatte weder Kinder, noch Geschwister. Deswegen hat Hildegard Knottenberg-Bierke dann nach Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen geschaut. Wenn es da noch Verwandte gibt, wären die nämlich erbberechtigt. So tief in die Familienverhältnisse einzusteigen ist aber oft nicht einfach.
Die Nachlasspflegerin sucht als erstes auf der Seite der Mutter nach Erben. Und entdeckt eine sehr tragische Geschichte: Die Mutter von Brigitte Bachmann war nämlich ein Findelkind.
"Wie sie als Kleinkind berichtet hat - ist sie mit den Eltern und mit der Tante auf verschiedenen Wegen angeblich aus Polen gekommen und unterwegs haben die sich verloren."
Im Jahr 1918 finden irgendwelche fremden Menschen das Kind in Stralsund und bringen es zu einem Pfarrer.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Und die erste Handlung war, dass er sie getauft hat und ihr noch einen deutschen Namen beigefügt hat.
Möglichen Erben auf der Spur
Dass es diese detaillierten Informationen über die Mutter von Brigitte Bachmann überhaupt gibt, liegt daran, dass sie Ende der dreißiger Jahre heiraten möchte. Zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Behörden wollen damals ganz genau wissen, wer sie ist und woher sie kommt.
"’36 hat sie angefangen ihre Hochzeitspapiere zu bekommen, aber sie hatte ja keine Geburtsurkunde. Sie hatte keinerlei Nachweis über ihre Herkunft."
Für Hildegard Knottenberg-Bierke sind diese Informationen wichtig, weil sie jetzt weiß: Auf der Seite der Mutter wird sie keine Geschwister finden - selbst wenn sie welche hatte. Aber die Suche geht weiter, denn auch auf der Seite des Vaters könnte es noch Verwandte geben, die heute erbberechtigt sind.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Da hatte ich natürlich das nächste Problem. Erstmal weil ich nicht wusste, wo ist der Mann gestorben. Man muss hier in Deutschland also entweder 120 Jahre alt sein oder nachgewiesenermaßen tot sein. Und ich fand keine Sterbeurkunde des Mannes. Das Standesamt hatte keine Sterbeurkunde.
Ein letzter vergilbter Brief
Der einzige brauchbare Hinweis auf den Vater ist deswegen ein zerfledderter, vergilbter Brief, der überall mit Tesafilm geklebt ist. Der Brief ist mit Schreibmaschine geschrieben. Feldpost steht drauf. Hildegard Knottenberg-Bierke findet ihn zufällig in der Wohnung von Brigitte Bachmann zwischen alten Fotos.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Den hat sie wahrscheinlich ihr Leben lang mitgeschleppt.
Vera Pache: Wahnsinn. War vielleicht für sie auch der einzige Nachweis über ihren Vater oder? Weil sie hat ihn ja auch gar nicht kennengelernt.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Der wichtigste Satz ist: Ich bedauere es tief, dass ich nicht in der Lage bin, ihnen eine tröstende Gewissheit zu geben. Ich will aber noch hoffen, dass er noch gesund und glücklich heimkehren wird. Sie schrieben die Ermittlungen hätten keine restlose Klarheit erbracht. Er ist seit den Kämpfen in Rumänien 1944 bei Ermoglia etwa 30 Kilometer westlich Tiraspol vermisst.
Der Vater ist also im Krieg in Osteuropa verschollen. Brigitte Bachmann ist 1943 geboren. 1945 bekommt ihre Mutter diesen Brief. Ich finde die Vorstellung wahnsinnig traurig, dass da eine Mutter mit ihrem Baby hockt und hofft, dass der Mann aus dem Krieg zurückkommt. Auch, damit er endlich seine Tochter kennenlernt. Stattdessen kommt dieser Brief. Der den Tod des Mannes als sehr wahrscheinlich beschreibt, aber keine endgültige Gewissheit liefert.
Für Hildegard Knottenberg-Bierke ist der Brief so wichtig, weil sie jetzt weiß: die Mutter von Brigitte Bachmann hat wahrscheinlich ihr Leben lang gehofft, dass der Mann doch noch lebt und irgendwann auftaucht. Darum hat sie hat ihn nie offiziell für tot gemeldet und deswegen gibt es auch keine Sterbeurkunde.
Entfernte Verwandte, neue Erben
Diese winzigen Spuren und Hinweise sind extrem wichtig für die Suche nach Erben. Für jede Person, die im Stammbaum eine Rolle spielt - und rein theoretisch erbberechtigt ist - muss Hildegard Knottenberg-Bierke nachweisen, ob sie lebt oder ob sie bereits gestorben ist. So auch beim Vater. Der Brief hat den Tod nun als höchstwahrscheinlich bestätigt, auch, wenn es keine offizielle Sterbeurkunde gibt.
Jetzt kann sie auf seiner Seite seiner Familie weitersuchen - und wird auch fündig.
"Ich habe dann eine ganze große Familie im Grunde gefunden. Der Vater hatte zwei Brüder, eine Schwester. Und die haben auch wieder Kinder bekommen und zumindest die Enkelkinder davon hab ich alle gefunden."
Die 8.000 Euro, die Brigitte Bachmann hinterlassen hat, werden jetzt also unter sechs Erben aufgeteilt – Cousins oder Cousinen von Brigitte Bachmann und deren Kinder. Verwandte, die sie niemals kennengelernt hat.
Hildegard Knottenberg-Bierke: Das ist viel Arbeit. Aber es ist auch eine schöne Arbeit. Erstens macht man manchen Leuten eine Freude, dass es nochmal etwas Geld gibt, wo man gar nicht mitgerechnet hat, weil die sich auch untereinander alle gar nicht gekannt haben. Manche lernen sich auch wieder kennen. Ich hab jetzt auch wieder eine, die sagt: Dann grüßen Sie doch mal, wenn sie mit dem sprechen.
Jetzt erben also einige Menschen Geld von einer unbekannten Verwandten. Ich habe mir überlegt: Wenn mir so etwas passieren würde, dann würde ich auf jeden Fall wissen wollen, wer diese Frau war. Ich würde mich erkundigen, wo sie beerdigt ist. Und zumindest mal eine Blume am Grab vorbeibringen. Ist doch irgendwie logisch, wenn man so ein unerwartetes Geldgeschenk bekommt oder?
"Ja, deswegen hab ich auch dafür gesorgt, dass sie ein ganz nettes Grab bekommt und dass man da auch mal ein Röschen ablegen könnte."
Hildegard Knottenberg-Bierkes Arbeit ist irgendwie mehr, als einfach nur einen Nachlass abwickeln. Wenn man sich das mal genau überlegt, bringt sie neue Bewegung in Familien - die manchmal gar nichts voneinander wissen. Und wenn es gut läuft, dann bleibt Brigitte Bachmann vielleicht doch noch bei irgendwem in der Erinnerung.