Nach der EuropawahlAfD: Verfestigte Strukturen in Sachsen und Brandenburg
In fast allen ostdeutschen Bundesländern ist die AfD auf Platz zwei gelandet, in Sachsen und Brandenburg sogar stärkste Kraft. Die Journalistin Antonie Rietzschel sagt: Die AfD gibt den Menschen eine gefühlte Macht zurück.
"Ich habe gerade das Gefühl in einer Parallelwelt zu leben." Das hat Antonie Rietzschel am Sonntagabend via Twitter geschrieben. Denn während im Westen Deutschlands die Grünen gefeiert wurden, sah es im Osten in vielen Teilen ganz anders aus.
Antonie Rietzschel ist Journalistin, in der sächsischen Schweiz aufgewachsen, sie lebt heute in Leipzig. Für die Süddeutsche Zeitung schreibt sie über den Osten. Wobei: Im Fall der Europawahl pauschal vom "Osten" zu sprechen, funktioniert für sie nicht. Denn es gibt Unterschiede - nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern auch zwischen einzelnen Städten und grundsätzlich zwischen dem Wahlverhalten der Stadt- und Landbevölkerung.
Was sie in den Gegenden beobachtet, in denen die AfD große Zustimmung erfährt: Sie bietet ihren Wählerinnen und Wählern dort eine Art von Ermächtigung an. Machtlos zu sein sei ein Gefühl, das im Osten besonders bei den Menschen sehr ausgeprägt ist, die durch die Wendeerfahrung starke Umbrüche hingenommen haben. Allein zwischen 1990 und 2006 sind 1,6 Millionen junge Ostdeutsche aus diesen Gebieten weggezogen.
"Als die Wende kam in Ostdeutschland, kam die mit Deindustrialisierung, mit Wegzug einer jungen Generation. Da entstand natürlich eine Machtlosigkeit. Das Gefühl, Spielball zu sein."
Auch Identitätsverlust geht mit diesen Erfahrungen nach der Wende einher. Alles keine neuen Erkenntnisse. Aber hier wäre durchaus die Möglichkeit für andere Parteien gewesen, sich ins Spiel zu bringen. Zum Beispiel für die CDU in Sachsen oder die SPD in Thüringen.
Und tatsächlich gab und gibt es Bestrebungen, die Themenfelder zu bearbeiten. Wie in etwa durch die Petra Köpping, Integrationsministerin der SPD in Sachsen, die spätestens seit dem Aufkommen von Pegida im Jahr 2014 sagt, dass erst mal die Ostdeutschen integriert werden müssten. Die sächsische CDU hingegen sieht das Problem nicht, sagt Antonie Rietzschel. Die beruft sich auf eine florierende Wirtschaft. Aber auch auf Bundesebene wurden Fehler gemacht, sagt die Journalistin.
"Das ist, glaub ich, der große Fehler. Dass die Bundesparteien lange die besonderen Umstände in Ostdeutschland überhaupt nicht wahrgenommen haben."
Grundsätzlich sei es so, dass Wählerinnen und Wähler im Osten anders angesprochen werden müssten. Weil sie Erfahrungen gemacht haben, die aufgearbeitet werden müssen. Aber Antonie Rietzschel will das auf nicht pathologisieren. Diese Erfahrungen gehören einfach zur Lebensrealität der Menschen.
Stattdessen, sagt sie, müsse man einfach anerkennen, dass in vielen Teilen von Ostdeutschlands die AfD eine Volkspartei geworden ist, die gewählt wird, weil sie Widerstand verspricht und eine Identität für jene, die sich machtlos fühlen.
Kernthema Sicherheit punktet vor allem im Grenzgebiet
Aber auch mit ihrem Kernthema Sicherheit punktet die AfD bei Wählerinnen und Wählern. Vor allem in den Grenzregionen ganz im Osten von Sachsen und Brandenburg. Auch wenn Statistiken keine gestiegene Kriminalität belegen, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist gesunken - und das bedient die AfD sehr emotional und mit sehr einfachen Mitteln, sagt Antonie Rietzschel.
So werden zum Beispiel auf der Altstadtbrücke in Görlitz, die Görlitz mit dem polnischen Zgorzelec verbindet, wieder Polizisten aufgestellt, um eine Art Grenzsicherung zu installieren. Was aber eigentlich nicht geht, denn der Bürgermeister einer Stadt kann nicht einfach eine Grenzsicherung einführen. Solche Aktionen zielten auf die Emotionen der Bürgerinnen und Bürger ab. Eine Art: Wir sind jetzt hier am Drücker und zeigen es denen da oben mal richtig. Dass es noch möglich ist, AfD-Wähler von einer anderen Partei zu überzeugen, glaubt Antonie Rietzschel nicht mehr.
"Ich glaube nicht, dass man bei der AfD noch Wähler abholen kann. Das ist, glaube ich, jetzt gefestigt."
Auch Aktionen wie der Schulterschluss der AfD mit offen rechtsextremen Bündnissen schrecken niemanden mehr ab. Vor allem an Orten, an denen sich die AfD bereits etabliert hat, macht Antonie Rietzschel wenig Hoffnung darauf, dass sich das kurzfristig wieder ändert.