Nach den MissbrauchsvorwürfenSpacey wird rausgeschnitten
Es ist wohl ein einmaliger Vorgang in der Kinogeschichte: Nur sechs Wochen vor dem geplanten Kinostart gibt Regisseur Ridley Scott bekannt, dass er Kevin Spacey aus seinem neuen Film "Alles Geld der Welt" entfernen wird. Alle Spacey-Szenen werden mit Christopher Plummer neu gedreht.
Kevin Spacey, das Gesicht von "House of Cards", einer der bekanntesten Schauspieler überhaupt, zwei Oscars im Schrank… im Moment läuft es aber alles andere als gut für ihn:
- Die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen ihn häufen sich: Gerade erst hat sich wieder ein junger Mann gemeldet, der sagt, dass Spacey ihm vergangenes Jahr zwischen die Beine gegriffen habe
- Netflix hat seine Zusammenarbeit mit Kevin Spacey bei "House of Cards" bereits beendet
"Alles Geld der Welt", der die Entführung des Milliardärenkels John Paul Getty III. Anfang der Siebziger Jahre erzählt, soll am 22.12. in die Kinos kommen.
Alles neu
Scott hat der Produktionsfirma Sony zugesagt, dass er es bis dahin schaffen wird, Spacey in allen Szenen, in denen er vorkommt, mit Plummer zu ersetzen und den Film dann neu zu schneiden.
"Scott hat Angst, dass das Publikum ausbleibt, weil es Spacey für sein Verhalten und seine Vergangenheit abstrafen will."
Außerdem würden darunter natürlich auch alle anderen leiden, die an dem Film mitgearbeitet haben, nicht nur die Schauspieler.
"Vor allem im Hinblick auf das Startdatum noch in diesem Jahr und eine eventuelle Oscarkampagne für den Film ist das ein wohlüberlegter Schachzug, der selbst Sony überrascht hat."
Das Studio steht aber hinter der Entscheidung seines Regisseurs.
Juristisch sauberes Vorgehen
Rechtlich ist das auch in Ordnung – auch wenn Kevin Spacey noch nicht angeklagt oder verurteilt ist, erklärt Anna. Denn die Produzenten des Films – und zu denen gehört Ridley Scott dazu – können mit dem fertigen Film tendenziell machen, was sie wollen.
- Kevin Spacey hat seine Arbeit gemacht und ist dafür bezahlt worden
- Er hat kein Recht auf den Final Cut
- Bei Fernsehserien wie "House of Cards", wo Spacey ja auch rausgeschrieben werden soll, gibt es vertragliche Absicherungen gegen unsittliches Fehlverhalten
Natürlich gilt zunächst die Unschuldsvermutung, also "im Zweifel für den Angeklagten", gibt Anna zu bedenken. Doch Kevin Spacey sei nach seinem ersten Statement und seinem vorgeschobenen Coming-out auffällig ruhig geworden.
Der Mensch und der Schauspieler
Müssen wir zwischen dem Menschen und dem Schauspieler unterscheiden? Bei Filmen von Woody Allen oder Roman Polanski kommt die Frage auch immer wieder auf. Beiden Regisseuren wurde wiederholt sexueller Missbrauch und Vergewaltigung vorgeworfen.
"Kevin Spacey hebt die Diskussion auf eine neue Ebene, denn er ist nicht hinter, sondern vor der Kamera zu sehen."
Wir als Zuschauer haben ein ganz anderes Vertrauensverhältnis zu Kevin Spacey, sagt Anna, als zu einem Regisseur oder Produzenten wie Harvey Weinstein, von dem die meisten bis zum Missbrauchsskandal maximal das Logo im Vorspann vieler Filme kannten.
- Bei Spacey haben wir sofort ein Gesicht vor Augen
- Wir haben das Gefühl, ihn - oder die Figuren, die er spielt - zu kennen
- Spacey ist ein sehr intensiver, eindringlicher Schauspieler
- In "House of Cards" spricht er uns Zuschauer ja sogar direkt an – damit bricht er die vierte Wand und macht uns zu seinen Komplizen
Genau deswegen hätten viele jetzt das Bedürfnis, sich besonders von ihm zu distanzieren, erklärt Anna. Auf der anderen Seite sei er als Schauspieler an sich nach wie vor gut.
Wie geht das überhaupt technisch?
Für "Alles Geld der Welt" soll Spacey um die acht bis zehn Drehtage gehabt haben. Dabei gab es wohl viele Szenen, in denen Spacey alleine zu sehen war, das würde den Nachdreh natürlich erleichtern. Aber auch Michelle Williams und Mark Wahlberg sind für sogenannte Reshoots gebucht worden. Der größte Druck liegt auf Christopher Plummer.
"Plummer war eigentlich Scotts erste Wahl – Sony wollte aber mit Spacey einen größeren Namen."
In manchen Filmen werden Menschen auch komplett computeranimiert. Spacey in den schon gedrehten Szenen durch eine Computeranimation zu ersetzen, wäre aber zu aufwendig und zu teuer geworden – und hätte auch einfach zu lange gedauert, sagt Anna Wollner.
"Man müsste Spacey ja erstmal rausretuschieren und Plummer reinsetzen – da ist es unaufwendiger, neu zu drehen und an der ein oder anderen Stelle digital zu tricksen."
Etwas Vergleichbares gab es in der Filmgeschichte so bisher noch nicht. Natürlich kam es mal vor, dass ein Schauspieler rausgeschnitten wird und im fertigen Film einfach nicht vorkommt.
Oder aber es gibt während der Dreharbeiten Unfälle und Todesfälle: Heath Ledger konnte "The Dark Knight" zwar noch zu Ende drehen – der Film wurde dann angepasst und ein bisschen umgeschnitten. Für "Das Kabinett des Dr. Parnassus" mussten nach Ledgers Tod Johnny Depp, Jude Law und Colin Firth einspringen. Das waren aber natürlich ganz andere Umstände als jetzt bei Spacey, sagt Anna.