Nach AnschlägenWer hilft den Opfern?
Anschläge wie in München, Aschaffenburg oder Hanau verändern Betroffene und Augenzeugen. Psychische Probleme können folgen. Mit psychosozialer Notfallversorgung lassen sich Traumata vorbeugen, sagt Notfall-Seelsorger Philipp Klein.
Philipp Klein bezeichnet sich selbst unter anderem als professionellen Zuhörer. Sein Vorteil gegenüber anderen Notfallkräften: Er hat Zeit. Zeit, um mit Opfern nach einem Anschlag, einem Bahnunglück oder einer Naturkatastrophe zu sprechen. Und vor allem, um ihnen zuzuhören.
Manchen Betroffenen hilft es, über das Geschehene zu sprechen. Andere wollen nach einem Schock vielleicht einfach loslassen, indem sie weinen. Auch dafür können Notfall-Seelsorger wie Philipp Klein eine Schulter zum Anlehnen bieten.
Zeit haben und zuhören
In Gesprächen können die Seelsorger die Situationen normalisieren, indem sie Opfer und Betroffenen sagen, dass es okay ist, in solch einer Ausnahmesituation zum Beispiel Wut zu empfinden, weinen zu wollen oder sich schuldig zu fühlen, auch wenn einen gar keine Schuld trifft, erzählt Philipp Klein.
Wie viel Nähe entstehe oder Distanz eingehalten werde, entscheide in erster Linie der Betroffene, aber es sei auch normal und in Ordnung, wenn beispielsweise Notfall-Seelsorger signalisieren, dass sie nicht umarmt werden möchten, sagt Philipp Klein.
"Wir sind wirklich für die Leute da, die das miterlebt haben, und haben einfach Zeit und können zuhören."
Philipp Klein ist im Leitungsteam der Notfallseelsorge Bonn-Rhein-Sieg. Philipp und sein Team werden immer dann gerufen, wenn viele Menschen psychisch betreut werden müssen.
Per Alarm-SMS erfahren er und seine Kolleg*innen, wenn sich eine sogenannte Großschadenslage ereignet hat. In Stichpunkten wird darin skizziert, wie die Situation am Einsatzort aussieht. Die Einsatzleiter der Notfall-Seelsorger können dann planen, wie viele Helfer*innen sie zu der Unfallstelle schicken wollen.
Absprache mit Rettungskräften vor Ort
Am Einsatzort angekommen, verschafft sich Philipp Klein eine Übersicht darüber, was von den Notfall-Seelsorgern gefordert sein könnte, wie viele Betroffene es zum Beispiel gibt und ob möglicherweise auch spezieller Betreuungsbedarf bei Einzelnen besteht. Dafür spricht er sich mit den Einsatzkräften vor Ort ab.
Betroffene können sich Notfall-Helfern unbesorgt öffnen
Ganz wichtig sei, dass die Leute jemanden haben, dem sie das Erlebte mit allen Eindrücken erzählen können. Philipp Klein und andere Helferinnen sind, wie er sagt, als "professionelle Zuhörer" darauf geschult, das Gesagte ohne Wertung anzunehmen und gleichzeitig nicht aufgrund von Schilderungen schlimmer Vorfälle selbst daran zu zerbrechen. Dabei helfen den Seelsorgern auch kollegiale Fallberatungen und Supervisionen.
"Was wir auch machen in der Gesprächsführung, ist, dass wir den Betroffenen ihre Reaktion erklären und das normalisieren."
Ganz wichtig sei es, dass dies frühzeitig geschehe, um die betroffenen Menschen aus dem Gefühl der Ohnmacht und dem Schock herauszuholen und ihnen dabei zu helfen, wieder handlungsfähig zu werden. Das diene zur Traumata-Prävention, weil Traumata hauptsächlich durch das Gefühl der Ohnmacht entstehen, erklärt Philipp Klein.
"Wir versuchen mit unseren Interventionen zu schaffen, dass wir die Menschen aus dieser Ohnmacht, die sie da haben, herauszuholen."
Ein zentraler Ansprechpartner, der die Hilfe für Opfer nach terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland bündelt, ist der Bundesopferbeauftragte Roland Weber. Erst nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016 wurde entschieden, eine dauerhafte und bundesweite Anlaufstelle einzurichten.
Zentrale Anlaufstelle für Opfer und Angehörige
Die Idee dahinter war, es den Opfern so leicht wie möglich zu machen, Hilfsangebote zu finden und diese wahrnehmen zu können. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Betroffenen zusätzlich durch eine aufwendige und schwierige Suche nach Hilfe belastet werden.
Gleichzeitig wurde mit der Stelle des Bundesopferbeauftragten eine Institution zu schaffen, die an der Seite der Opfer und Angehörigen steht und ihrer Rechte stärkt. Und sie zum Beispiel darüber informiert, welche Ansprüche auf therapeutische Betreuung und finanzielle Entschädigung ihnen zustehen.