Physiker über VerschwörungsglaubeCoronavirus-Pandemie und Verschwörungsmythen: Jeder ist dafür empfänglich
Die Gerüchteküche zum neuartigen Coronavirus brodelt. Rasch verbreiten sich Verschwörungstheorien über die Ursache des Virus. Die Epidemie sei eine biologische Waffe oder eine Strafe Gottes, heißt es, rassistische Theorien kommen noch hinzu. Der Physiker Holm Hümmler beschäftigt sich mit Verschwörungsglaube und sagt, dass nach jedem großen Ereignis Verschwörungsbehauptungen auftauchen, die einem Muster folgen.
Der Generaldirektor der World Health Organisation Tedros Adhanom Ghebreyesu appelliert an die Vernunft – und spricht von einer infodemic. Fehlinformationen würden sich rascher verbreiten als das neurartige Coronavirus selbst und wären vergleichbar gefährlich.
Kommunikation gegen Glaube
Doch wie kommt es zu Fehlinformationen, falschen Behauptungen und Verschwörungsmythen?
Holm Hümmler hat 2019 das Buch "Verschwörungsmythen. Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden" veröffentlicht. Eigentlich ist er beruflich Unternehmensberater und Physiker. Er vermeidet den Ausdruck Verschwörungstheorie und bevorzugt den Begriff Verschwörungsglaube oder eben Verschwörungsmythos. Schließlich handle es sich ja nicht um Theorien, sondern um Behauptungen, die einen Glaubenscharakter haben.
Mythen folgen denselben Mustern
Die Verschwörungsmythen nach großen Ereignissen, egal ob es sich dabei um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus oder den Anschlag in Hanau handelt, würden immer nach demselben Muster ablaufen, sagt Holm Hümmler. Vor allem in den Momenten, in denen die Menschen mit Angst reagieren, die Ereignisse nicht begreifen oder verstehen können oder fürchten, den Überblick zu verlieren, werden Erklärungen gesucht. Dazu gehört auch der Verschwörungsglaube, an dem sich die Menschen festhalten.
"Ein mögliches Erklärungsmuster bei einem Großereignis liefert der Verschwörungsglaube."
Diesen Verschwörungsglauben sollte man nicht unwidersprochen stehen lassen, sagt Holm Hümmler. Vor allem wenn die Behauptungen regelmäßig unwidersprochen auftauchen, werden sie zur gefühlten Wahrheit.
Aber man sollte sich nicht in Diskussionen "verzetteln", weil es in meisten Fällen "nichts bringt". Für ihn ist es im Gespräch mit jemandem, der einen Verschwörungsmythos verbreitet, an erster Stelle eine sachliche Argumentation wichtig.
"Einmal klar sagen, was Sache ist, im Zweifelsfall ein bis zwei Sachargumente dazu."
- Das ist ein Verschwörungsmythos.
- Wie kommst du eigentlich darauf?
An den Reaktionen könnte man schnell erkennen, ob das Gegenüber "rumtrollen", für seinen Glauben missionieren, oder ernsthaft diskutieren will. Wer für die Diskussion Unterstützung braucht, kann bei mimikama nachsehen, wie dort verschiedene Verschwörungsmythen auseinander genommen werden.
Zufall übersteigt den Verstand
Holm Hümmler hat beobachtet, dass Verschwörungsmythen an grundlegende Mechanismen der menschlichen Psyche anknüpfen. Dabei läge oft der Versuch zugrunde, die Welt zu erklären, Muster zu erkennen, und Mächtigen zu misstrauen. Dem Zufall, der teilweise sehr deutlich in Biografien eingreife, sei allerdings mit dem Verstand nicht gut beizukommen, betont der Physiker.
"Der Zufall ist ein ganz hartes Faktum in unserem Leben. Das gut zu verarbeiten, dafür ist unser Gehirn nicht wirklich ausgelegt."
Sozial isolierte Menschen, Menschen, denen vielleicht die Fähigkeit zur Selbstkritik bei solchen Gedankengängen fehle, seien besonders anfällig für Verschwörungsmythen. Sie werden dann mit erstaunlicher Zuverlässigkeit geäußert.
"Grundsätzlich ist jeder für Verschwörungsmythen empfänglich."
Gerade auf Facebook würden sehr schnell Verschwörungsmythen verbreitet. "Nach jedem größeren Ereignis: drei, zwei, eins – kommt die erste Verschwörungsbehauptung, ganz sicher."