Montage of Heck. The Home RecordingsWie Kurt Cobain zu Kurt Cobain wurde
Kurt Cobain ist wieder überall. Erst der Kinofilm "Montage of Heck". Und als Nachklapp zur Doku erscheint jetzt "Montage of Heck. The Home Recordings". Vorab wurde das Machwerk auch schon als Soloalbum von Kurt angepriesen. Da stellt sich die Frage: Was ist so zeitlos an seiner Musik? Finden wir jetzt die Wurzeln? Unser Autor Heiko Behr geht für uns auf Spurensuche.
Kurt Cobain, ungeschminkt, unbearbeitet und wohl auch: ungewollt. Courtney Love stellte das gesamte Musikarchiv ihres Mannes dem Regisseur der Kino-Doku Montage of Heck zur Verfügung. Brett Morgan hat das Ganze jetzt als neue Kurt-Cobain-Platte raus gebracht. Das Problem: Dieses Machwerk ist unhörbar, zynische Abzocke einer Fanschaar, die nicht loslassen kann, Leichenfledderei. Wir belauschen einen jungen Kurt fast schon voyeuristisch beim Rumalbern, Rumklampfen und Rumjodeln. Hier ist noch nicht der Geist von Nirvana zu hören. Das dauert noch ein paar Jahre. Fangen wir also nochmal von vorne an.
"Letztendlich geht es darum, dass man post mortem gutes Geld verdienen kann."
Nirvana - das ist erst mal nur eine Band aus dieser uninteressanten Stadt namens Seattle. Drei Typen. Der schlacksige Bassist Krist Novoselic, der hyperaktive Schlagzeuger Dave Grohl und eben Kurt Cobain. Die 1991 einen Song rausknüppeln, der die Welt verändern wird. Und hier ist das mal nicht übertrieben. Im Proberaum klingt das alles chaotisch. Aber irgendwas ist da. Also setzen die Plattenbosse einen professionellen Produzenten an den Song. Und plötzlich klingt "Smells Like Teen Spirit" so, wie wir ihn alle kennen.
Die Chefriege von MTV wird damals vor Freude geweint haben: mit einem einzigen Song, mit einem einzigen Video ist alles neu: Grunge wird der Wahnsinn genannt, der da entsteht: Pearl Jam, Alice in Chains, Soundgarden. Leidende weiße Männer in Karohemden und mit Jesuskomplex und schweren Drogenproblemen. Aber Kurt - sticht heraus. Er verliebt sich sehr öffentlich und Hals über Kopf in eine Musikerin namens Courtney Love, die beiden haben bald eine Tochter und Kurt gibt Interviews mit Baby auf dem Arm.
Kurt und Courtney sind verheiratet, ganz konservativ damals, aber auch etwas anders: Er tritt im Schlafanzug vor den Altar. Und seine Frau wird unversehens zur Yoko Ono der 90er: von Fans erst misstrauisch beäugt, dann verachtet. Nirvana werden zu einer weltbekannten, unfassbar erfolgreichen Band. Und Kurt? Als vor einem Konzert die Gerüchteküche wegen angeblicher Gesundheitsprobleme brodelt, lässt sich Kurt mit blonder Langhaarperücke im Rollstuhl auf die Bühne schieben. Er erhebt sich langsam, singt ein paar Takte - und fällt in sich zusammen.
Kurts Aufbegehren
Oder der Auftritt von Nirvana in der durchformatierten britischen Show "Top oft the Pops". Kurt mit alberner Sonnenbrille und denkwürdiger Performance. Das ist die eine Seite von Kurt. Doch die andere Seite lässt sich nicht zurückdrängen. Bei einem Live-Auftritt auf MTV spielt er - entgegen jeder Absprache - die ersten Takte von "Rape me" - natürlich keine Hymne auf eine Vergewaltigung. Es ist das genaue Gegenteil. MTV hatte trotzdem panische Angst vor Kontroversen und war nur Sekunden davon entfernt, die Live-Übertragung abzubrechen - bis Nirvana mit dem vorher abgesprochenen Song begann.
Es ist natürlich auch diese Art der Grenzüberschreitung, auch seiner eigenen, die Cobain so groß macht. Ein Aufbegehren. Gegen die großen Verlogenheiten der Medien, gegen den Irrsinn des Star-Daseins - und gesellschaftliche Konventionen. Er lässt sich im Kleid fotografieren, spricht sich für Feminismus genauso aus wie gegen Rassismus und Homophobie. Während der Rest der Grunge-Egos im eigenen Saft schmort. Cobain scheint eine Art Verantwortung zu fühlen, seiner Rolle als Generationsmessias gerecht zu werden. Seine Probleme mit dieser Rolle werden immer sichtbarer und offensichtlicher. Er stammelt in Interviews, bei Live-Shows kann er seine Verachtung fürs feierwütige Publikum oft kaum noch unterdrücken. Sein Drogenkonsum explodiert, seine Beziehung geht in die Brüche. Kurt kämpft.
Kurt ist an seinem kreativen Zenit. Äußerlich. Innerlich fühlt er keine Freude mehr an seiner Musik, wie er später in seinem Abschiedsbrief schreiben wird. Freunde überzeugen ihn jetzt davon, eine Entzugskur in Los Angeles zu beginnen. Er flieht nach einigen Tagen. Am 8. April 1994 wird Kurt Cobain tot aufgefunden auf seinem Grundstück. Ein Gewehr in der Hand. Bis heute kursieren Gerüchte über Courtney Loves Rolle in seinem Leben. Bis heute schreiben Menschen das Wort Nirvana auf ihre Rucksäcke. Bis heute hören Menschen seine Musik.