"Mitte-Studie" in DeutschlandRechtsextreme Einstellungen nehmen zu
Die "Mitte-Studie" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung stuft acht Prozent der Befragten als rechtsextrem ein. Die extremen Einstellungen sind der Studie zufolge parteiübergreifend vorhanden, sie haben vor allem bei Unter-Dreißigjährigen zugenommen.
Einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge haben rechtsextreme Einstellungen in Deutschland stark zugenommen. Die Autor*innen erklären, dass mehr als acht Prozent ein rechtsextremes Weltbild haben. Demnach wurden rechtsextreme Auffassungen auch bei Teilnehmenden ermittelt, die sich selbst als politisch links einstufen würden.
In vorherigen Studien hatten nur zwei bis drei Prozent der Befragten rechtsextreme Einstellungen. Kathrin Kühn aus der Deutschlandfunk-Wissenschaftsredaktion sagt, "dass die Lage laut den Zahlen [in] der Studie gar nicht gut aussieht". Demnach haben vor allem Menschen, die mit der politischen Agenda der AFD sympathisieren, ein rechtsextremes Weltbild.
"Ziemlich erwartbar ist, dass der Anteil derer, die ein rechtsextremistisches Weltbild haben, bei AFD-Sympathisanten bei 24 Prozent liegt."
Auch Wähler*innen von SPD und CDU sind laut der "Mitte-Studie" nicht frei von rechtsextremen Weltbildern: acht Prozent der Leute, die die SPD wählen, haben rechtsextreme Einstellungen – sechs Prozent der CDU-Wählenden. Vor allem bei Leuten, die jünger als 30 Jahre alt sind, ist die Zunahme des rechtsextremen Gedankenguts ausgeprägt.
Dazu sagt Sozialpsychologin Beate Küpper, eine Mitherausgeberin der Studie: "Junge Leute – die unter 30 Jahren und die im mittleren Erwachsenenalter – ziehen nach und haben auffallend hohe Werte. Hier können wir beobachten, dass junge Menschen den lauten und aggressiven Populismus der letzten Jahre von Rechtsextremen aufgesogen haben."
Gesellschaftliche Normen geraten ins Wanken
Da die jüngeren Menschen in dieser Welt sozialisiert wurden, denken sie sich so etwas nicht selbst aus, sondern geben nur das wieder, was sie gesagt kriegen, so Beate Küpper. Bei Menschen, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, ist der Anteil rechtsextremer Einstellungen höher und tendenziell auch bei ärmeren, weniger gebildeten Menschen. Bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus gibt es keine Unterschiede zwischen ärmeren und reicheren Personen. Die Autor*innen erklären, dass durch öffentliche Debatten gesellschaftliche Normen wanken.
"Durch öffentliche Debatten – auch in Social Media – kippen gesellschaftliche Normen. Dinge werden da sagbar, die es vorher so nicht gab."
Hinzu käme die in der Welt vorhandene multiple Krisenlage – Corona-Pandemie, Klimawandel, russischer Angriffskrieg in der Ukraine, Veränderung des Arbeitsmarktes durch Künstliche Intelligenz und weitere –, die die Stimmung der Bevölkerung beeinflusse.
Krise und antidemokratische Haltungen
Beate Küpper sagt, dass es nicht auf die tatsächliche Betroffenheit ankommt, sondern auf die gefühlte Betroffenheit: "Gesellschaftliche Krisen machen anfällig für antidemokratische Einstellungen. Insbesondere dann, wenn Menschen sich nicht nur dadurch betroffen fühlen, sondern verunsichert." Der Meinungsumschwung in der Gesellschaft sei daher kein Automatismus, so die Sozialpsychologin. Deutschlandfunk-Wissenschaftsredakteurin Kathrin Kühn erläutert, dass darin auch Lösungsansätze liegen.
"Auf der einen Seite geht es darum, Extremismus klar als solchen zu benennen. Auf der anderen Seite sollten wir auf Lösungen schauen bei gesellschaftlichen Problemen."
Wir sollten konstruktive Lösungen diskutieren und nicht über jedes hingehaltene Aufreger-Stöckchen springen, meint Kathrin Kühn, und so gesellschaftlichen Problemen entgegentreten.
Die Studienergebnisse zeigen übrigens auch, dass sich Leute, die Vertrauen in die Demokratie haben, eher für mehr Klimaschutz stark machen. 65 Prozent der Studienteilnehmenden möchten zudem mehr in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden.
Phänomen der marktförmigen Menschen
In ihrer "Mitte-Studie" machen die Forschenden auch auf das Phänomen der marktförmigen Menschen aufmerksam. Innerhalb dieser Gruppe findet eine überdurchschnittliche Distanzierung von demokratischen Grundprinzipien und ein Rückgang von Solidarität statt, so Andreas Hövermann, einer der Co-Autoren der Studie. "Die Gruppe ist hochrelevant, wenn es darum geht, rechtsextreme Entwicklungen aus der Mitte der Gesellschaft zu analysieren", sagt er.
Das ganze Gespräch mit Andreas Hövermann, in dem er unter anderem beschreibt, wie ursprünglich neoliberale Ideale und Rechtsextremismus zusammenfinden, könnt ihr im folgenden Audiozitat nachhören.
"Wer selbst Schuld ist, dem muss man auch nicht helfen. Genau so einen Rückgang an Solidarität sehen wir in unserer Studie."