Missbrauchsskandal im Erzbistum KölnJournalistin: "Bei dem Gutachten geht es nicht um Moral"
Kardinal Meisner und Erzbischof Heße sollen beim Umgang mit Missbrauchsvorwürfen im Erzbistum Köln Pflichten verletzt haben. Zu diesem Ergebnis kommt ein neues Gutachten. Kardinal Woelki wird dagegen entlastet. Das Gutachten dürfe jedoch nicht die moralische Aufarbeitung ersetzen, meint die Journalistin Christiane Florin.
Aus Sicht des Erzbistums sei mit dem veröffentlichten Gutachten die umfassende Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe am Erzbistum Köln vollzogen, sagt Christiane Florin vom Deutschlandfunk. Die Journalistin hat das Thema intensiv verfolgt. Erste personelle Konsequenzen hat es bereits gegeben: Der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße habe dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Entbunden von seinen Pflichten wurde auch der frühere Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und der Offizial Günter Assenmacher.
Eine reines Rechtsgutachten
Das von einer Anwaltskanzlei erstellte Gutachten sei ein reines Rechtsgutachten, bei dem es nicht um Moral gehe, sagt Christiane Florin. Im Fokus stehen Pflichtverletzungen.
"Es ist ein reines Rechtsgutachten. Es geht nicht um Moral. Es geht auch nicht um systemische Bedingungen."
Wenn Missbrauchsbeschuldigungen gegen einen Priester aufkommen, dann gebe es an verantwortlicher Stelle verschiedene Pflichten, so die Journalistin. Dazu zähle die Pflicht, den Sachverhalt aufzuklären und den Beschuldigungen nachzugehen. Auch müssen solche Vorfälle an höhere Stellen gemeldet werden. Des Weiteren gebe es die Pflicht, Täter zu sanktionieren, weitere Vorfälle zu verhindern und auch die Opfer zu betreuen.
Diese Pflichtverstöße seien im Gutachten gemessen worden, so die Journalistin. Die meisten Verstöße habe das Gutachten bei dem 2017 verstorbenen Kardinal Joachim Meisner festgestellt. Der heutige Tag sei deshalb auch eine Abrechnung mit seinem System gewesen.
"Der heutige Tag war auch eine Abrechnung mit dem System Meisner gewesen."
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte relativ zügig in einer Pressekonferenz mit den Entlassungen von Amtsträgern Konsequenzen bekannt gemacht. Für Christiane Florin kam das, gemessen an seiner Ankündigung, dass er das Gutachten nicht kenne, überraschend.
Das jetzt veröffentlichte Gutachten ist bereits das zweite zu den Missbrauchsvorwürfen. Das erste Gutachten habe aus Sicht der Kirche methodische Mängel gehabt. Das neue Gutachten entlaste Woelki von dem Vorwurf persönlich vertuscht zu haben. Dennoch, als Ziehsohn von Kardinal Meisner habe er sich lange und virtuos in dessen System bewegt, so die Journalistin.
Moralische Fragen dürfen nicht in den Hintergrund geraten
Bei der Aufklärung gehe es den Betroffenen aber weniger um einzelne Personen oder Pflichtverstöße, als vielmehr um das ganze klerikale System und die mutbrüderliche Vorsorge. Die habe den Täterschutz erst ermöglicht. Das sei jedoch nicht Thema im Rechtsgutachten gewesen. Dennoch könne das über 800 Seiten umfassende Gutachten mit vielen Anhaltspunkten bei der moralischen Aufklärung helfen. Schlimm wäre es
nur, wenn es als Ersatz für die moralische Aufarbeitung genutzt werde, sagt Christiane Florin.
Ob sich jemand nicht empathisch gegenüber Betroffenen gezeigt habe, sei kein Straftatbestand oder Niedertracht, sondern es seien moralische Fragen. Ebenso, nicht Sorge dafür zu tragen, dass Betroffenen Gerechtigkeit widerfahre. Durch das Gutachten dürften solche Punkte nicht in den Hintergrund geraten, so die Journalistin, die eine leichte Tendenz in diese Richtung wahrnimmt.
"Es bleibt immer noch das Gefühl übrig, dass die Institution Kirche geschützt wird und dass weniger der Blick auf die Betroffenen gerichtet wird."
Über das Gutachten haben wir auch mit Noah Herschbach von der Katholischen jungen Gemeinde in Köln gesprochen. Er habe die Hoffnung, dass das Gutachten ein Schritt in die richtige Richtung sei. Doch trotz der ersten Konsequenzen, fehle ihm ein wenig der Blick auf die Betroffenen und Empathie. Das ganze Interview könnt ihr hören, wenn ihr auf den Playbutton unter dem Zitat drückt.