MigrationshintergrundMigrantische Identität: Wie viele Zuhause haben wir?

Fast ein Drittel der Menschen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. So auch Mazlum, dessen Eltern Kurden aus der Türkei sind. Er hat mehrere Identitäten und sieht das als Gabe. Judith Purkarthofer forscht zu solchen "hybriden Identitäten".

Wenn Menschen mit Migrationshintergrund neue Leute kennenlernen, kommt beim Small-Talk irgendwann sehr wahrscheinlich die Frage: Wo kommst du eigentlich her? Nein, nein, wo kommst du WIRKLICH her? Mazlum bezeichnet sich dann als Sachse mit kurdischem Migrationshintergrund. Aber auch erst, seit er in Mannheim wohnt. "In der Rhein-Neckar-Region hast du sehr viele Leute mit Migrationshintergrund", sagt er. "Aber mir wollte niemand glauben, dass ich aus Sachsen bin."

"Du bist hier irgendwo der Deutsche, aber nicht ganz angenommen, weil du hast den Migrationshintergrund. Dort drüben bist du der Alman."
Mazlum Coşkunsu, Sachse mit kurdischem Migrationshintergrund

Mazlum fühlt sich stark mit seiner kurdischen Familie verbunden, das ist sein Zuhause. Auch wenn diese in Deutschland lebt, ist Mazlum oft in der Türkei, zuletzt diesen Sommer mit seiner Mutter und seinem Bruder. Obwohl er sich dort sehr wohl fühlt, spürt er in der Türkei auch immer wieder, dass er auch viele deutsche Eigenarten an sich hat. Er fühlt sich also immer auch ein kleines bisschen fremd.

Mazlum vereint mehrere Identitäten in sich

Mazlum bezeichnet sich selbst als hybrid. Er vereint mehrere Identitäten in sich. Auch, wenn das manchmal zu skurrilen Situationen führen kann, empfindet er das als Stärke und genießt gewisse Aspekte davon, zum Beispiel, dass er sich an neue oder ungewohnte Situationen recht schnell anpassen kann.

"Je nachdem, in welchem Umfeld ich bin, kann ich die eine oder andere Seite stärker ausleben und zeigen. Das ist eigentlich einer der schönsten Gaben, die ich habe."
Mazlum Coşkunsu, Sachse mit kurdischem Migrationshintergrund

Judith Purkarthofer beschäftigt sich an der Uni Duisburg-Essen mit der wissenschaftlichen Seite hybrider Identitäten. Diese setzen sich nicht nur aus dem einen und dem anderen zusammen, sondern gewinnen "aus dem Raum dazwischen nochmal eine eigene, eben hybride Identität", wie sie sagt.

Identitäten bilden sich durch "Major Life Events"

Die Bildung von Identitäten findet vor allem entlang von sogenannten Major Life Events statt, zum Beispiel den Beginn der Schulzeit oder eine Partnerschaft, erklärt Judith. Die Aushandlung von Identitäten ist ein mächtiger sozialer Prozess. Besonders schwierig wird es, wenn jemand von außen uns bestimmte Zwänge auferlegen will, nur aufgrund der Identität.

"Jemandem Teilhabe abzusprechen oder das Recht, sich in bestimmten Umgebungen aufzuhalten, das ist etwas, was Exklusion verursachen und unsere Identitätsvorstellungen erschüttern kann."
Judith Purkarthofer, Sprachwissenschaftlerin

Für Menschen mit Migrationsgeschichte hört die Auseinandersetzung mit Identität nie auf. Weil ihre Identität ständig politisiert wird, haben sie manchmal gar keine Wahl, als sich damit auseinanderzusetzen. Es spielt auch noch eine große Rolle, wie die Eltern damit umgehen. Das Lernen über sich, das Zuhause und die Identität, dauert ein Leben lang.

Wenn die eigene Identität immer ein Thema ist

Khuê Pham ist Buchautorin und Journalistin. Sie lebt in Berlin und hat eine vietnamesische Migrationsgeschichte. Sie beschäftigt sich in ihren Büchern ganz stark mit ihrer eigenen Identität. Auf die Frage, was sie eigentlich ist, entgegnet sie: "Ich würde antworten, dass ich ganz viele Personen bin. Ich finde, dass man die Frage: 'Wer bin ich?' nicht so einfach mit einem Wort beantworten kann."

Durch Geschichten und Erzählungen versucht sie, eine Antwort auf diese Frage zu geben, ohne andere zu belehren oder vor den Kopf zu stoßen. Und sie versucht zu schildern, wie es sich anfühlen kann, immer wieder mit dieser Frage konfrontiert zu sein.

"Als ich angefangen habe, darüber zu schreiben, haben Leute auch angefangen, mir zu sagen: 'Ich fühle mich gesehen", sagt sie. "Das ist auch meine Geschichte, die du erzählst.' Und da habe ich verstanden, dass es wichtig ist, es zu teilen."

"Ich glaube, dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, aber dazugehören zu wollen, ist ein universelles, tief sitzendes Gefühl, das ganz viele Menschen kennen."
Khuê Pham, Autorin und Journalistin

Für Khuê ist der Austausch mit anderen Personen mit Migrationsgeschichte sehr wichtig, aber auch Menschen ohne Migrationsgeschichte fühlen sich von ihren Erzählungen angesprochen.

Die Frage nach dem Zuhause ist untrennbar verbunden mit dem Thema Identität. Und es ist vermutlich für die meisten gar nicht so leicht zu beantworten, was zu Hause für sie ist.

Vielleicht habt ihr ja ganz eigene Strategien, wie ihr auf die Frage “Und wo kommst du wirklich her?” antwortet. Schreibt uns gerne an factsundfeelings@deutschlandradio.de

Und wenn ihr mehr über Mazlum erfahren wollt, dann hört doch in unseren Podcast "German Dreams" rein. Dort sprechen die Hosts Minh Thu Tran und Yousuf Mirzad mit ihm auch über die Frage, ob er Deutschland wegen der politischen Lage verlassen würde.