Sexuelle GewaltIndien hat seinen #MeToo-Moment
In Indien klagen Frauen aus der Film- und Medienbranche öffentlich männliche Kollegen der sexuellen Gewalt an – zu den mutmaßlichen Tätern gehören auch Stars aus der Filmszene. Aber vor allem: Die Frauen werden gehört und Indien hat seine #MeToo-Bewegung. "Die Debatte ist in aller Munde", sagt unsere Indien-Korrespondentin Silke Diettrich.
Die Debatte über sexuelle Gewalt hat die ehemalige Schauspielerin Tanushree Dutta angestoßen. Sie beschuldigt den indischen Schauspieler Nana Patekar der sexuellen Belästigung während eines Drehs im Jahr 2008. Nana Patekar ist seit 40 Jahren im Filmgeschäft; er ist eine bekannte Größe in Bollywood.
Tanushree Dutta hatte schon damals, vor zehn Jahren, die Anschuldigungen öffentlich gemacht. Doch sie bekam keine Unterstützung. "Das hat vor zehn Jahren ehrlich gesagt kaum jemanden hier interessiert", sagt unsere Korrespondentin Silke Diettrich. Tanushree Dutta musste sich anhören, dass sie eine Drama-Queen sei. Dass sie den Ruf Bollywoods beschmutze; sie wurde sogar bedroht. Tanushree Dutta ging aus Indien weg in die USA.
Plötzlich ist die #MeToo-Bewegung da
Doch diesmal ist es anders. Als Tanushree Dutta Anfang Oktober ihre Anschuldigung wiederholte, fand sie Unterstützung. Andere Frauen aus der Medienbranche meldeten sich zu Wort: Sie sprachen über ihre Erlebnisse sexueller Belästigung und Gewalt durch männliche Kollegen. Die Frauen gingen anonym an die Öffentlichkeit, andere trauten sich ihren Namen zu nennen. Und auch Tanushree Dutta meldet sich weiterhin zu Wort.
"Seit jeher ist Belästigung Teil unserer Kultur. Uns Frauen wurde immer gesagt, dass wir nicht darüber reden sollen."
Die Debatte über #MeToo läuft in Indien über Social Media. Aber auch die Zeitungen und Fernsehkanäle berichten nonstop. #MeToo ist DAS Thema in den indischen Medien. Da geht es auch schnell um Sensationslust. Und im Netz erfahren die Frauen, die Vorwürfe bekannt machten, auch Drohungen und üble Beschimpfungen. Man wirft ihnen vor, zu lügen.
"Wir sollen nicht über Belästigung reden, das gilt auch für Vergewaltigungsopfer. Da ist so viel Scham. Und dann dieses Stigma, das das Opfer dann trägt. Sollte es nicht andersherum sein?"
Bislang gab es nach den öffentlichen Klagen noch kaum Konsequenzen. Die Beschuldigten schweigen zumeist. "Der prominenteste Mann, dem Belästigung vorgeworfen wird, ist ein Staatssekretär im Außenministerium", sagt Silke Diettrich. MJ Akbar war bis zu seinem Wechsel ins Außenministerium ein bekannter Journalist und Chefredakteur. Zehn Frauen haben bislang gegen ihn Vorwürfe erhoben, er schweigt bislang.
Sexuelle Gewalt ist kein Tabu mehr
Dennoch ist eine wichtige Diskussion angestoßen. "Die Debatte ist in aller Munde", sagt Silke Diettrich. Es bewege sich etwas – zumindest in der städtischen Ober- und Mittelschicht.
Seit 2012 ist das Thema sexuelle Gewalt stärker im Fokus: in der Gesellschaft, in den Medien und auch zu Hause in den Familien. Damals wurde mitten in Delhi die Studentin Jyoti Singh Pandey in einem fahrenden Bus durch mehrere Männer vergewaltigt. Sie starb später, die inneren Verletzungen waren zu schlimm. Nach der brutalen Gruppenvergewaltigung gingen tausende von Menschen – nicht nur in Delhi – auf die Straße. Sie forderten mehr Rechte und mehr Sicherheit für Frauen. Damals demonstrierten vor allem die Jungen – Frauen und Männer.
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