MeToo in der MedizinÜbergriffiges Verhalten keine Seltenheit in Kliniken

Manchmal sind es Patient*innen, die sich sexistisch oder übergriffig verhalten, manchmal aber auch Kolleg*innen. Viele medizinische Angestellte berichten über sexistische Sprüche oder sexuelle Übergriffe.

Egal, ob es ein Oberarzt ist, der einen Spruch macht, oder ein Patient – unangenehm ist es in beiden Fällen. Besonders dann, wenn man den Patienten nach einer unverschämten Bemerkung auch noch untersuchen muss, sagt die Medizinstudentin Julia.

"Bei einer Online-Befragung an der Charité in Berlin kam heraus: 72 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer haben Grenzüberschreitungen erlebt."
Sarah Brendel, Deutschlandfunk Nova

In einer Online-Befragung, die die Berliner Charité zwischen 2014 bis 2016 durchführte, gaben eine große Zahl an Mediziner*innen und Pflegekräften an, dass sie bereits sexistische beziehungsweise sexuelle Übergriffe erlebt haben. Bei den Frauen waren es 72 Prozent; bei den Männern 60 Prozent.

Ärztinnen werden häufig für Krankenschwestern gehalten

Vor allem als Ärztin komme es oft vor, dass man bei Patientenvisiten für eine Krankenschwester gehalten wird, sagt Julia. Wohingegen Mitarbeiter meist als Arzt wahrgenommen werden, auch wenn sie keiner sind, berichtet Julia.

Die Gleichstellungsbeauftragte an der Charité in Berlin, Christine Kurmeyer, denkt, dass es unterschiedliche Gründe für sexistisches Verhalten geben kann. Zum einen, sagt sie, geht medizinisches Personal oft über die eigenen Grenzen hinweg, da sei es nicht überraschend, wenn mal der eine oder andere Spruch gemacht werde.

Zum anderen würden Frauen von Männern im medizinischen Betrieb oft als Konkurrentinnen wahrgenommen, das könne auch ein Grund für unkollegiales bis hinzu unangebrachtem Verhalten sein, denkt die Gleichstellungsbeauftragte.

"Die machen den Männern natürlich auch die Arbeitsplätze streitig. Das sind manchmal so Sprüche, die dann en passant fallen gelassen werden, wo ich dann denke ja, es wird als bittere Konkurrenz empfunden, wenn jetzt auch Frauen auf den Markt drängen."
Christine Kurmeyer, Gleichstellungsbeauftragte

Medizinstudentin Julia hat selbst kein Problem damit, Kolleg*innen, die sich unangebracht verhalten, darauf hinzuweisen, sagt sie. Bei Patient*innen tut sie dies allerdings nicht. Denn es stehe ihr nicht zu Patient*innen zu erziehen, sagt sie. Solche Vorfälle bespricht sie dann mit Kolleg*innen.

Beraten statt bestrafen

Nicht jedem fällt es möglicherweise so leicht wie Julia, andere auf ihr übergriffes Verhalten anzusprechen. In der Charité gibt es daher feste Ansprechpartner*innen, die bei sexistischen Vorfällen Betroffene anonym beraten und auch mit denjenigen sprechen, die ein Fehlverhalten gezeigt haben. Die Gleichstellungsbeauftragte sagt, dass es aber in erster Linie darum gehe, nicht zu bestrafen, sondern zu beraten, damit diese Personen auch die eigenen Fehler verstehen und einsehen können.

Das Hilfetelefon – Beratung und Hilfe für Frauen:

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben.

Unter der Nummer 116 016 und via Online-Beratung auf hilfetelefon.de werden dort Betroffene unterstützt – 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte werden dort anonym und kostenfrei beraten.