KriminalitätWas Messer als Waffe so gefährlich macht
Nach dem Attentat in Solingen fordern viele ein strengeres Waffengesetz. Denn selbst Profis können sich kaum gegen Messerangriffe wehren, sagt auch Kriminalbeamtin Jennifer Otto. Sie findet Messerverbote richtig – auch wenn damit das eigentliche Problem nicht gelöst werde.
Messer gibt es überall zu kaufen – im Fachhandel, im Netz, aber natürlich auch im Supermarkt. Die wenigstens Menschen nutzen sie auch als Waffe, das sagt auch Kriminalpolizistin Jennifer Otto. Doch wenn das Messer als Waffe genutzt wird, kann es schwerste Verletzungen verursachen: So kann etwa bei einem Stich ins Bein, wenn die Hauptschlagader getroffen wurde, der Mensch noch vor Ort verbluten.
Messer werden als Waffe unterschätzt
Einsätze, bei denen Messer involviert sind, bergen für Polizist*innen das Risiko, selbst verletzt zu werden. Das Messer beschreibt Jennifer Otto als "undurchsichtigstes Einsatzmittel", weil es im Gegensatz zur Schusswaffe oder einem Baseballschläger in der Hosentasche stecken kann und damit nicht sichtbar ist. Im Zweifel könne es aber sehr schnell gezückt werden.
"Weil Messer sehr gefährlich sein können, muss das Gegenüber damit rechnen, dass Polizisten gegebenenfalls zur Schusswaffe greifen, um sich, die Kollegen oder Bürger zu schützen."
Jennifer Otto berichtet, dass sie im Alltag sehr viele Delikte aufnimmt, bei denen ein Messer im Spiel war. Ihrer persönlichen Einschätzung nach tragen immer mehr Menschen Messer mit sich – vor allem bei jungen Menschen sei das so. Über die Gründe kann die Kriminalbeamtin nur mutmaßen: Es kann etwa um ein Gefühl der Macht gehen oder darum, das eigene Sicherheitsgefühl auf der Straße zu verstärken.
Es ist wichtig, die Gründe hierfür wissenschaftlich zu untersuchen, sagt Jennifer Otto. Denn nur dann könnten auch die Ursachen behoben werden.
Kritik an ungenauer Statistik: 2023 deutschlandweit etwa 9.000 Fälle mit Messern
Die Polizeistatistik gibt Jennifer Otto recht: 2023 sind deutschlandweit ungefähr 9.000 Fälle registriert worden, bei denen Messer im Einsatz waren. Das bedeutet aber nicht, dass dabei auch immer jemand angegriffen wurde, sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Martin Schütz. Daher gibt es an der Statistik auch Kritik. Als Datengrundlage dienen Zählungen der jeweiligen Polizeibehörden – darin sind zudem nur Fälle verzeichnet, die auch angezeigt wurden.
Für die Bundesregierung steht fest: Ein Weg, dem Problem beizukommen, ist die Verschärfung des Waffenrechts. Die Diskussion darum gibt es schon länger, nach dem Messeranschlag von Solingen im August 2024 hat sie nun aber gehörig an Fahrt aufgenommen. Wenige Tage nach dem Attentat hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser schärfere Regeln angekündigt: In Zukunft soll man nur noch Messer mit sich führen dürfen, die eine maximale Klingenlänge von sechs Zentimetern haben. Bestimmte Messertypen wie Springmesser sollen ganz verboten werden. Außerdem könnte es in Bahnhöfen und Innenstädten Waffenverbotszonen geben.
Das Ziel beziehungsweise die Hoffnung dahinter ist, dass weniger Menschen Messer mit aus dem Haus nehmen.
Ein reines Verbot wäre zu kursichtig
Ob das etwas bringt, da ist sich Dirk Baier, Gewaltforscher an der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften, allerdings nicht so wirklich sicher. Er verweist auf die Begleitforschung zu Waffenverbotszonen in Leipzig und Wiesbaden. Demnach zeigt das Verbot keine große Wirkung. Allerdings können den Menschen, die sich nicht an das Verbot halten, die Messer abgenommen werden. So gesehen sind dann weniger Messer im Umlauf.
"Laut Gewaltforscher Dirk Baier bringen Verbotszonen nur etwas, wenn dort auch kontrolliert wird."
Dirk Baier sieht einen indirekten Vorteil von Verbotszonen. Seinen Erkenntnissen nach tragen vor allem männliche junge Erwachsene Messer, um zu imponieren. Zum Einsatz des Messers komme es dann quasi nebenbei im Falle eines eskalierenden Streits. Dirk Baiers Schlussfolgerung: Wenn bestimmte Messer verboten sind und nur noch das "olle Taschenmesser" mitgenommen werden darf, verliert das Mitführen von Messern möglicherweise an Reiz.
Forderung nach mehr Präventionsprogrammen
Trotzdem kann nicht nur auf Verbote und Kontrolle gesetzt werden, betont Baier. Was vor allem nötig ist, sind Präventionsprogramme, in denen Jugendliche über die Gefahren von Messern aufgeklärt werden und in denen sie alternative Lösungsstrategien in Konfliktfällen kennenlernen. Das müsse schon an den Schulen beginnen.
Die Debatte um ein schärferes Waffenrecht verfolgt auch Kriminalpolizistin Jennifer Otto. Grundsätzlich ist sie dafür. Doch wenn sie die Forderungen nach Personen- oder Einlasskontrollen, die auf Plätzen mit Waffenverbotszonen nötig wären, mit der Realität abgleicht, sagt sie klar: Dafür sind wir personell überhaupt nicht in der Lage. Verbotszonen sind ihrer Einschätzung nach nicht die eine Lösung.
Ausstattung der Polizei verbessern
Jennifer Otto spricht sich für eine besser Ausstattung der Polizei aus. Sie verweist auf Schutzwesten, die bis zum Hals gehen. Ihrer Einschätzung nach braucht es mehr Polizeipräsenz auf den Straßen sowie Videoüberwachung. Außerdem plädiert sie dafür, Polizisten mit Tasern, also Elektroschockpistolen, auszustatten.
"Mittlerweile tragen viele Menschen ein Messer mit sich, doch sie sind sich nicht im Klaren, was sie damit anrichten können."
Trotzdem wird sich das Problem allein über Polizeiarbeit nicht lösen lassen, sagt Jennifer Otto.
Wir brauchen wissenschaftlich Erkenntnisse darüber, warum immer mehr Menschen Waffen mit sich führen. Wir brauchen mehr Präventionsarbeit in Schulen – und in den Familien. Denn dass Menschen Messer tragen, ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – also müssen wir es auch gesamtgesellschaftlich angehen.