Mentale GesundheitWie sich die wirtschaftliche Lage auf die Psyche auswirkt

Deutschland befindet sich in der Rezession. Wenn die Wirtschaft stagniert, dann gibt es in der Regel auch weniger Jobs und es kommt durch Inflation zu Preissteigerungen. Wenn das eigene Geld eh schon knapp und dazu möglicherweise auch noch die eigene Anstellung bedroht ist, dann sorgen sich mehr Menschen um ihre Zukunft und das kann sich auch auf die Psyche auswirken. Eine Studie hat diesen Zusammenhang untersucht.

Viele von uns überlegen im Supermarkt möglicherweise inzwischen öfter, ob wir tatsächlich alles, was wir in den Einkaufskorb gelegt haben, wirklich brauchen. Denn durch die Inflation ist es bei einigen Produkten zu Preisanstiegen gekommen und das merken wir dann letztendlich an unserem Kontostand. Wenn die Jobsituation unsicher ist oder wir mit unseren monatlichen Ausgaben über dem Budget liegen, dann kann uns das Sorgen bereiten. Schlimmstenfalls setzt dann auch eine gewisse Existenzangst ein.

Diesen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage in Deutschland und unserer psychischen Verfassung hat Daniel Graeber vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) untersucht.

"Wenn die Wirtschaft gut läuft, die Arbeitsplätze natürlich zahlreich verfügbar sind, die Menschen sich keine Sorge um ihre Arbeit oder um ihr wirtschaftliches Auskommen machen müssen, dann hat das natürlich positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit."
Daniel Graeber, Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Die Studie des DIW deckte einen Untersuchungszeitraum von rund 18 Jahren zwischen den Jahren 2002 bis 2020 ab. Anhand der Untersuchung ließ sich feststellen, dass sich die psychische Gesundheit in Deutschland im Durchschnitt stark verbessert hat.

Bemerkenswert seien allerdings die signifikanten, negativen Einbrüche in der psychischen Gesundheit, sagt Daniel Graeber. Diese zeigten sich im Zusammenhang mit der Rezession und im Rahmen der Schulden- und Finanzkrise, so wie in der Zeit der Coronapandemie.

Und Frauen sind von diesen wirtschaftlichen Entwicklungen deutlich stärker betroffen als Männer, sagt der Studienautor Daniel Graeber.

Frauen stärker durch wirtschaftliche Lage betroffen

Die Gründe für die Effekte auf unsere Psyche können verschiedene Ursachen haben, sagt der DIW-Mitarbeiter. Vor allem bei Frauen habe man deutliche Einbrüche bei der psychischen Gesundheit im Verlauf des Untersuchungszeitraum feststellen können, zum Beispiel während der Coronapandemie. Gründe dafür sieht er darin, dass:

  • die Erwerbsbeteiligung von Frauen (auch historisch gesehen) deutlich niedriger ist
  • sie im Durchschnitt einen deutlich höheren Anteil an der Care-Arbeit leisten und dadurch oft eine Mehrfachbelastung haben
  • während der Pandemie z.B. Kitas zeitweise geschlossen wurden und dadurch hauptsächlich Frauen Care-Arbeit übernommen haben, die sonst outgesourct wird
  • ein Trend zur Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern im Verlauf der Pandemie abgezeichnet hat
"Frauen geht es erheblich schlechter als Männern mit der psychischen Gesundheit über die Zeit. Es gibt zwar einen leichten Aufholprozess von Frauen, aber dieser zaghafte Aufholprozess wurde tatsächlich im Zuge der Coronapandemie komplett zunichte gemacht."
Daniel Graeber, Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Ein deutlicher Unterschied bei der psychischen Gesundheit während einer Rezession konnte in der Studie auch zwischen unter und über 30-Jährigen festgestellt werden, sagt Daniel Graeber.

Dabei sind die jüngeren Menschen stärker von psychischen Einbrüchen betroffen, wenn die wirtschaftliche Lage im Land angespannt ist. Besonders ab dem Jahr 2014 ist diese Entwicklung deutlich an den Studienergebnissen abzulesen. Und das gleiche gelte auch für die Coronapandemie, sagt Daniel Graeber.

Daniel Graeber führt das unter anderem darauf zurück, dass mentale Gesundheit und die Behandlung von Störungen oder Erkrankungen nicht mehr so stark stigmatisiert werden wie noch in den vergangenen Jahrzehnten. Dadurch ließen sich mehr Menschen behandeln. Zugleich suchen sich viele vermutlich auch früher Hilfe bei psychischen Schwierigkeiten. Damit lässt sich dann möglicherweise der Anstieg bei den Diagnosen von psychischen Störungen bei Menschen unter dreißig Jahren erklären.

"Während in unseren Daten die psychische Gesundheit über die Zeit gestiegen ist, gibt es vermehrt Diagnosen. Dieser zunächst unvereinbare Zusammenhang lässt sich aber womöglich erklären dadurch, dass Menschen, die psychische Probleme haben, wahrscheinlich früher und vermehrt zu Ärzten gehen als früher."
Daniel Graeber, Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Eine Prognose für die Zukunft sei natürlich spekulativ, sagt Daniel Graeber. Aber dennoch zeige sich, dass jetzt große Strukturveränderungen für die deutsche Wirtschaft anstehen würden, führt er aus. Und in deren Folge sei erwartbar, dass Menschen sich vermehrt um ihre Arbeitsplätze und ihr Auskommen Sorgen machen und sie möglicherweise beruflich auch verändern wollen könnten oder müssten.

Das sei alles potenziell mit Stress und einer erhöhten psychischen Belastung verbunden, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter der DIW. Insofern sei schon damit zu rechnen, dass sich die Entwicklung der kommenden Monate auch in der psychischen Gesundheit der Menschen in Deutschland niederschlage, sagt Daniel Graeber.