MenschenrechtsgerichtshofUrteil: Die Schweiz schützt das Klima zu wenig
Verletzt ein Staat Menschenrechte, wenn er nicht genug gegen den Klimawandel tut? Im Fall der Schweiz sagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg: Ja. Geklagt hatte eine Gruppe von Seniorinnen aus der Schweiz. Urteile gab es aber auch zu anderen Klimaklagen, etwa von mehreren jungen Leuten aus Portugal.
Es könnte ein ein wegweisendes Urteil sein: Zum ersten Mal war eine Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgreich. Die Richter in Straßburg haben geurteilt, dass der mangelnde Klimaschutz der Schweiz gegen Menschenrechte verstößt – und damit der Gruppe "Schweizer Klimaseniorinnen" recht gegeben. Sie hatte ihre Klage damit begründet, dass sie durch ihr Alter besonders durch den Klimawandel gefährdet seien, beispielsweise wegen großer Hitze. Gegen das Urteil ist keine Berufung möglich. Es könnte also gut sein, dass die Schweiz in Sachen Klimaschutz nachbessern muss.
Aktivisten aus Portugal scheitern mit Klimaklage
Sechs junge Leute aus Portugal waren weniger erfolgreich vor Gericht. Sie hatten Klage gegen eine ganze Reihe von Staaten eingereicht: Nämlich gegen alle EU-Mitgliedstaaten, aber auch gegen Norwegen, Russland, die Türkei, Schweiz und Großbritannien. 32 Länder insgesamt. Der Vorwurf: Diese Länder hätten alle dazu beigetragen, dass sich die Erderwärmung und der Klimawandel verschärft – und ganz konkret damit ihre Generation und auch sie persönlich bedroht. Eine der Klägerinnen ist die 19-jährige Sofia und sie sagt: "Die Klimakrise und die Tatsache, dass unsere Regierungen es nicht schaffen, unsere Zukunft zu schützen, löst bei mir große Angst aus."
"Letzte Woche gab es in Lissabon einen kleinen Tornado. Das hat bei mir wieder Klimaangst ausgelöst. Denn wovor ich am meisten Panik habe sind Wirbelstürme und Hitzewellen."
Portugal gehört zu denen Ländern, in denen es wegen starker Hitze immer wieder zu verheerenden Waldbränden kommt. Auslöser für die Klage der jungen Leute waren die Brände 2017 in Portugal, die sie miterlebt hatten. Eingereicht hatten sie diese Klage dann 2020 und wurden dabei auch von einer britischen Menschenrechtsorganisation unterstützt. Die Richterinnen und Richter in Straßburg wiesen diese Klimaschutz-Klage allerdings nun als unzulässig ab. Begründung: Sie hätten zuerst vor den Gerichten in Portugal klagen müssen. Direkt in Straßburg vor Gericht zu ziehen, sei einen Schritt zu früh gewesen. Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Christina Weise wundert sich allerdings, dass das Gericht in Straßburg die Klage dann nicht schon früher abgewiesen hat, sondern sich ein halbes Jahr mit dem Fall beschäftigt hat.
Französischer Bürgermeister muss Niederlage vor Gericht einstecken
Auch ein ehemaliger französischer Bürgermeister ist mit seiner Klage nicht durchgekommen. Er hat der französischen Regierung vorgeworfen, zu wenig zu tun, um eine Überflutung seiner Stadt zu verhindern. Laut Urteil fehlt dem französischen Politiker die sogenannte Opfereigenschaft. Also, dass er besonders betroffen sei. Der Mann lebt aktuell gar nicht in Frankreich.
Urteil könnte auch Folgen für Deutschland haben
Das Urteil zu den Klimaklagen könnte Signalwirkung haben und in künftigen Prozessen zum Präzedenzfall werden. Denn der Menschenrechtsgerichtshof ist zuständig für insgesamt 46 Staaten – darunter Deutschland. Also könnten auch Klagen aus anderen Ländern in Straßburg geprüft werden – wenn es darum geht, ob die Staaten das Recht auf Klimaschutz einhalten oder nicht. Und auch vor nationalen Gerichten könnte es eine Welle von Klagen geben.
Die Umweltorganisation WWF nannte das Urteil einen Weckruf für die Regierungen, die bisher nicht ausreichend gehandelt haben. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte, dass das Verfahren in Straßburg zeige, dass die Klimakrise in allen europäischen Ländern zu den größten Gefahren zähle.
Zahl der Klimaklagen zuletzt gestiegen
In den vergangenen Jahren haben sich Klimaklagen gegen Unternehmen und Staaten gehäuft. Im vergangenen Dezember verzeichneten US-Forscher weltweit mehr als 2.500 Fälle, in denen Klägerinnen und Kläger sich vor Gericht gegen die Folgen des Klimawandels wehrten. In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht 2021 das deutsche Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt, da es die Freiheitsrechte künftiger Generationen beeinträchtige.