Neue Regeln fürs MedizinstudiumWeniger Abi-Note, mehr Menschlichkeit
Fast alles neu bei der Zulassung fürs Medizinstudium: Nach der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss das Vergabeverfahren neu geregelt werden. Wolfgang Hampe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sieht darin die Chance, auch psychosoziale Fähigkeiten abzufragen.
Konkret beanstandet hat das Bundesverfassungsgericht, dass das Grundrecht auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot mit der aktuellen Regelung verletzt werde. Bis Ende 2019 sollen Bund und Länder nachbessern, das heißt vor allem weitere Kriterien neben der Abiturnote definieren. Damit Chancengleichheit bestehe, sollen diese Kriterien standardisiert, strukturiert und besser überprüfbar sein.
Worauf kommt es an - neben der Abi-Note?
Wolfgang Hampe, Leiter der Arbeitsgruppe Studierendenauswahl an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, war bei den Verhandlungen in Karlsruhe dabei. Mit dem Urteil ist er sehr zufrieden. Seine Hoffnung: "Dass mit einer großen gesellschaftlichen Diskussion und einem politischen Gesetzgebungsverfahren ein besseres Gesetz entwickelt wird."
Bei der Entwicklung der neuen Testmethoden wird es dann auch um die Frage gehen: Wie erkennt man einen guten angehenden Arzt?
Nicht nur an der Abiturnote, meint Wolfgang Hampe. Ganz gleich sei sie zwar nicht. Sie habe ein gewissen Wert, wenn es etwa um die Vorhersage des Studienerfolgs gehe, erklärt er. Kritik an der Numerus-clausus-Regel aber gibt es schön länger - und hier geht es vor allem um die Vergleichbarkeit der Noten.
"Zum einen hat es in den letzten Jahren eine gewisse Inflation gegeben: Immer mehr Bewerber haben sehr gute Noten. Zum anderen werden die Noten in den Bundesländern auf sehr unterschiedliche Art vergeben."
Im Kernpunkt geht es bei der neuen Regelung vor allem um die freie Auswahl der Bewerber durch die Unis - 60 Prozent der Plätze werden auf diese Weise vergeben. Zum Teil wird nach dem Notenschnitt entschieden, zum Teil durch Assessment-Center und andere individuelle Verfahren. Wolfgang Hampe schätzt, dass die Abiturnote zwar weiter eine Rolle spielen werde, aber durch nationale verpflichtende Tests ergänzt werden könnte. In Zukunft darf bei der hochschuleigenen Auswahl die Abi-Note jedoch nicht das einzige Entscheidungskriterium sein.
Bundesweite Tests - und vielleicht etwas Empathie
Pflichtprogramm für jeden angehenden Arzt sollten die Fähigkeiten sein, Krankheiten zu erkennen, zu diagnostizieren, Therapien zu finden und ihr Studium erfolgreich abzuschließen, sagt Wolfgang Hampe: "Das ist etwas, das sich relativ gut durch die Abiturnote und Testverfahren messen lässt, die eher in die naturwissenschaftliche Richtung gehen". Hampe hebt aber hervor, dass das Bundesverfassungsgericht auch auf die Bedeutung von psychosozialen Fähigkeiten eingegangen ist.
"Ein Bewerber braucht aber auch die psychosozialen Fähigkeiten wie Empathie oder Kommunikationsfähigkeit. Und dazu wäre es sinnvoll, wenn möglichst viele Fakultäten versuchen, das zu messen."
Wolfgang Hampe wendet dazu etwa die Methode der Multiple-Mini-Interviews an. Dabei gibt es nicht ein großes Bewerberinterview, sondern beispielsweise neun kleine Fünf-Minutengespräche. Vorab bekommt jeder Bewerber eine Aufgabe: Er muss beispielsweise einem Patienten nach einem Unfall erklären, dass er nicht mehr laufen können wird.
"Das ist eine sehr schwere Aufgabe, die auch Ärzten nicht leicht fällt. Trotzdem sind wir immer wieder überrascht, wie solche schweren Aufgaben schon von Studienbewerbern sehr gut und gemeinsam gelöst werden."
Skills im Umgang mit Menschen könnten also einen größeren Stellenwert bei der Auswahl bekommen. Inwieweit - das wird sich jetzt in den nächsten Monaten zeigen. Bis zum 31. Dezember 2019 haben die Universitäten und Gesetzgeber Zeit, neue Regelungen zu treffen.
Umsetzung der Vorgaben
Weitere Anforderungen an das neue Vergabeverfahren haben die Karlsruher Richter aber bereits definiert: So darf etwa die Ortspräferenz nicht wichtiger gewertet werden als die Abiturnote. Bei der Verteilung nach Wartesemestern soll zudem die Anzahl auf maximal acht Wartesemester begrenzt werden.
Eines wird aber wohl auch mit dem neuen Vergabeverfahren bleiben: Nicht jeder der sich bewirbt, wird einen Studienplatz bekommen. Auch in Zukunft wird die Zahl der Bewerber deutlich höher sein als die verfügbaren Plätze.