Medizinstudium in der SlowakeiFür Malte ist die EU eine Chance

Für Malte Sebastian ist die EU die Chance: Er ist Deutscher, studiert aber in der Slowakei Medizin, weil er in Deutschland seinen Medizinstudienplatz verloren hat. Er pendelt zwischen Deutschland und der Slowakei, um seinem Traum näher zu kommen. Gegenüber seinem Studienland ist er ziemlich kritisch und zurückhaltend. EU nur, wenn sie einem selbst nützt? "Ich hab mal ausgerechnet, dass ich auf Schienen inzwischen zweimal die Erde umrundet habe", sagt Malte. Caro Haentjes hat ihn auf einer Fahrt nach Martín begleitet.

Malte und ich sitzen schon seit ein paar Stunden im Zug, erzählt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Caro Haentjes. Die Landschaft ist ein bisschen wilder und verwunschener geworden, aber die Farben sind ganz ähnlich wie in Deutschland, grün, grau. Und die Stimmung im Zug: auch ein bisschen wie in Deutschland.

Malte: "Ja, aber ist immer anderes. Andere Jahreszeit, anderer Turnus im Jahr... ist eine ganz andere Stimmung hier in dem Waggon wenn nächste Woche Weihnachten wäre oder so. Das kann man ganz genau merken."

"Eine Arbeitsstimmung irgendwie. Die Leute hier die müssen morgen wieder irgendwo sein. So wie ich."
Malte beschreibt, wie er sich fühlt, wenn er mit dem Zug in die Slowakei fährt

In der Slowakei, wo er Medizin studiert. Malte ist jetzt nicht unbedingt der Typ, den man in der Business-Class im Zug erwarten würde. Eher mit seinem Bully irgendwo an der Küste oder so. Lange Haare, Bart, und die Haut und die Art von jemandem, der gerne an der frischen Luft ist. Aber das Pendeln zwischen Deutschland und der Slowakei hat ihn pragmatisch gemacht. Am wichtigsten ist, wie man möglichst fit ankommt.

Malte: "Nachtzug zum Beispiel. Klingt immer so toll. Aber ist total anstrengend. Mega heiß, vielleicht stinken de Leute in deinem Abteil. Du kannst einfach nicht schlafen oder nebenan ist eine fünfköpfige Familie. Nichts gegen Familie, aber das ist auch mit Lautstärke verbunden."

Und dann übernächtigt zur Vorlesung? Ne, danke. Dafür hat Malte in den letzten Jahren herausgefunden, wie er die Fahrten am besten übersteht: Hörbücher und Podcasts.

"Hörbücher, ganz viel Hörbücher. Ich wollte nicht traurig sein, dass ich jetzt wieder wegfahre, ich hab mich dann einfach in die Geschichte geflüchtet. Ich liebe Hörbücher. Klar, Podcasts..."
Malte vertreibt sich mit Hörbüchern und Podcasts die Langeweile während der Fahrt

Einer der Pocasts, die er da hört ist die Einhundert. Und er hat da gehört, dass Deutschlandfunk Nova Geschichten von Europa sucht.

"Was hat euch Europa gegeben? Und da musste ich so lachen und habe gedacht: genau - die Möglichkeit Arzt zu werden."
Malte hat sich auf unseren Aufruf, Geschichten zu Europa zu erzählen, gemeldet

Doch noch Arzt zu werden. Denn Malte – obwohl er nicht so aussieht – ist 35 und hat schon mal Medizin studiert.

Malte: "Ich habe in Göttingen Medizin studiert. Und hab dann das Physikum nicht geschafft, auch beim zweiten Mal nicht und auch beim dritten Mal nicht. Miese Umstände. Aber das wusste ich vorher. So sind die Regeln. Ich habe mein Recht in Deutschland Medizin zu studieren auf Lebenszeit verwirkt. Natürlich super bitter. Erstens passiert das eigentlich keinem Medizinstudenten. Und zweitens war mein ganzer Lebensplan halt futsch. Völlig. Das ist so wie ich so daran denke dann denke ich so eine Straße die führt einfach ins Nichts. Da kommt auch nichts mehr. Dann hab ich halt gedacht, gut, machst du was anderes, kein Bock mehr auf den Mist."

Die zweite Chance zum Medizinstudium: Die Slowakei

Er verbringt den Sommer in Schweden und Norwegen. Als Outdoor-Guide. In den Wäldern, weit weg von allem. Bloß nicht an den geplatzten Traum denken. Nur: Seine Freundin studiert auch Medizin. Sie macht in dem Sommer ein Praktikum in einem schwedischen Krankenhaus. Malte holt sie manchmal ab, aber das kostet ihn wirklich Überwindung. Durch Zufall lernt er trotzdem den Chef seiner Freundin kennen.

Malte: "Tomas Jonsson – ein super cooler Typ. Wirklich, fabelhafter Kerl. Der war Anfang 40 und kam gerade von der Uni. Und dann hat der mir ganz kurz seine Lebensgeschichte erzählt. Wie er mit Mitte 30 angefangen hat Medizin zu studieren. Weil seine Eltern ihm immer gesagt haben, er sei zu doof. Und dann hat er, als er genug Geld hatte, das einfach gemacht. Dem hab ich dann ganz kurz von mir erzählt und wie ich mich fühle. Er hat gesagt: Alter, Malte, ist doch scheißegal. Think Big. Wenn's in Deutschland nicht geht, dann gehst du halt woanders hin. Ich so: Was, wie woanders. Geht das? Und er so: Du kannst auf der ganzen Welt studieren. Ich hatte das völlig ausgeschlossen für mich. Ich dachte, das ist jetzt einfach vorbei."

Das war der Moment, indem es bei Malte Klick gemacht hat. Indem er kapiert hat, er könnte einfach woanders Medizin studieren. Auf Englisch und nicht so teuer müsste es sein.

Und dann sitzt er gegen Ende des Sommers auf einer Sonnenterrasse in Schweden, durchsucht das wackelige Internet und findet was. In Martín, in der Slowakei.

Wenn man nach Prag einfährt ist das wunderschön. Man sieht die Prager Burg, die Moldau, das ganze Panorama. Und Prag kennt er richtig gut. Weil hier steigt er fast immer um, weil egal welche Route er nach Martín nimmt, er fährt fast immer über Prag. Weil er tatsächlich dort vor vier Jahren genommen wurde.

Wir sind jetzt umgestiegen in Prag und sitzen in dem Zug, der uns in die Slowakei bringt. Um uns herum nur Tschechisch und Slowakisch, mit Deutsch kommt man hier nicht mehr weit. Trotzdem wundert sich niemand, dass wir hier sind und Deutsch reden. Macht das Europa aus? Irgendwo fremd zu sein und doch nicht ganz fremd zu sein?

"Ich fühle mich hier zugehörig. Ich weiß so im Großen und Ganzen wie das Leben so funktioniert . Auf der einen Seite ist es total divers, auf der anderen Seite eint uns doch auch so ein Gedanke. Hoffentlich. Eins zu sein."
Malte über sein Lebensgefühl in Martín

Aber was das für ein Gedanke ist, der uns eint, das weiß Malte nicht so richtig. Und manchmal ist er auch ein bisschen genervt von seinem Europa-Leben, von der ganzen Reiserei, aber auch von der Slowakei, zu der er ein schwieriges Verhältnis hat.

EU ja, aber Slowakei?

Malte: "Mich verbindet mit der Slowakei eine totale Hassliebe, ist total ambivalent. Ich bin sehr naturverbunden und bin sehr gerne in der Natur. Wandern, Mountainbiken, Klettern… Und das kann man da alles ohne Ende. Das ist fantastisch. Und so unberührt. Weißt du, du fährst mit dem Bus irgendwo hin für 50 Cent, in die Walachei und das Bier kostet 1,20 auf der Hütte.

Aber es gibt auch - ich nenne es immer "diese Nachwehen des Kommunismus" - die merkt man ganz deutlich: In den Köpfen, in den Straßen, in den Strukturen der Bürokratie in diesem ganzen Kladderadatsch. Das bringt mich wirklich manchmal echt zur Verzweiflung.

Dass die chronisch unzufrieden sind, das sagen sie auch über sich selber, und neidisch. Es gibt sogar ein Sprichwort : Wenn die Ziege deines Nachbarn stirbt, dann bringst du deine eigene um, damit du auch eine tote Ziege hast. Und das sagt schon sehr viel. Aber ich will nicht so viel jammern, ich bin jetzt ja wieder eine ganze Weile da. Ich will nicht schon wieder in diese Negativ-Spirale rein."

Malte ist jetzt seit vier Jahren in der Slowakei. Und so richtig warm geworden ist er nicht mit dem Land. Deswegen fährt er auch so oft nach Hause – er erzählt, dass es den meisten ausländischen Studenten so geht.


Malte:
"Das ist so ein Sport bei uns, wir kriegen am Anfang einen Stundenplan: Dann kann ich nach Hause und da auch. Die Norweger fliegen immer nach Norwegen und wir fahren auch immer hin und her…"

Als Malte das sagt, finde ich das schon krass. Der geht in die Slowakei nur um seinen Abschluss zu machen. Ist da vier Jahre und baut gar nicht so eine richtige Beziehung zu dem Land auf. Fährt bei jeder Gelegenheit nach Hause. Klar ist das anstrengend. Sind ja auch tausend Kilometer.

"Hätte ich das vorher gewusst, ich weiß nicht, ob ich das gemacht hätte. Aber es fühlt sich nach wie vor wie die richtige Entscheidung an."
Malte hadert manchmal mit seiner Entscheidung, in der Slowakei zu studieren

Als wir in Martín ankommen, ist es stockduster. Es fühlt sich an, als würden wir auf offener Strecke anhalten. Von der Stadt oder dem unbekannten Land sehe ich nichts. Ich laufe Malte hinterher. Und frage mich: Er musste die Grenzen in seinem Kopf überwinden, um sein Glück nochmal zu versuchen. Aber wenn er so ein pragmatisches Verhältnis zu der Slowakei hat und da nur ist, um seinen Abschluss zu machen. Wie europäisch ist das denn, das so zu machen?