Long-Distance-FamilieSo fühlen wir uns trotzdem verbunden
Thi-My lebt in Berlin. Ihre Eltern sind 2022 nach Vietnam zurückgekehrt, um ihre Oma zu pflegen. Für Thi-My ist es nicht einfach, so weit von der Familie entfernt zu sein. Archana Golla ist Psychologische Psychotherapeutin und begleitet Menschen, die mit dieser emotionalen Belastung kämpfen.
Manchmal passiert es aus heiterem Himmel und aus den unterschiedlichsten Gründen. Menschen entscheiden sich dazu, weit weg zu ziehen. So spannend das auch ist – sie lassen häufig etwas zurück: ihre Familie.
Bei Thi-My ist es genauso. Sie erzählt, dass es für sie im ersten Moment ein ziemlicher Schock war, als ihre Eltern gesagt haben, dass sie Deutschland verlassen und zurück nach Vietnam wollen. Der Grund dafür war die pflegebedürftige Oma. Thi-My erinnert sich, dass vor allem das erste Weihnachtsfest schwierig war.
"Ich habe noch zwei Geschwister, und dann haben wir zu dritt Weihnachten gefeiert im Elternhaus – aber halt ohne Eltern."
Auch wenn es melancholisch war, Thi-My und ihre beiden Geschwister haben das Beste daraus gemacht und gemeinsam Raclette gegessen.
Irgendwann wollen die Eltern zurück
Es gab auch die Überlegung, ihre Oma nach Deutschland zu holen. Eine Familienzusammenführung war in diesem Fall aber nicht möglich. Nun ist aber geplant, dass Thi-Mys Eltern nur für die Zeit der Pflege in Vietnam bleiben und dann irgendwann zurück nach Deutschland kommen, weil sie sich hier eigentlich sehr wohlfühlen.
"Meine Eltern haben mehr Zeit in Deutschland verbracht als in Vietnam tatsächlich. Und mein Vater fühlt sich auch super deutsch."
Trotzdem genießen die Eltern auch die Zeit in Vietnam. Thi-My war dort auch mal für drei Wochen zu Besuch. Sie hatte Angst, dass es mit ihren Eltern auf engem Raum zu Streitigkeiten kommen könnte. Doch das war nicht der Fall, sagt sie: "Ich glaub wir haben uns alle richtig zusammengerissen, weil wir wussten, wir haben jetzt nur diese Zeit – diese quality time."
Videocalls und Gedanken ans Auswandern
Thi-My findet, dass sich die Kommunikation mit ihren Eltern zum Positiven verändert hat, seit sie so weit weg sind. Sie versuchen, jede Woche Videocalls zu machen. Und trotzdem sind besondere Anlässe wie Feiertage und Geburtstage nach wie vor nicht so einfach, weil man da einfach gerne zusammen sein würde, sagt Thi-My. Bei ihr ploppt auch immer mal wieder der Gedanke auf, komplett nach Vietnam zu gehen – konkrete Pläne dazu gibt es aber nicht.
Inniges Verhältnis über Distanz möglich
Die Psychologische Psychotherapeutin Archana Golla hat viele Patientinnen und Patienten, die schwer damit klarkommen, dass die Familie im Ausland lebt. Denn der Kontakt zur Familie gibt uns viel, sagt Archana Golla. Sie spricht von einem Gefühl, eingebettet zu sein und auf dieser Welt einen Platz zu haben.
Wenn Schuldgefühle aufkommen
Bei Menschen, die ihre Familie viele Kilometer weit zurücklassen, können durchaus Schuldgefühle aufkommen, sagt Archana Golla. Die Kommunikation werde häufig komplexer. Außerdem sei es schwierig, bestimmte Dinge nicht mehr miteinander teilen zu können – vor allem materiellen Komfort, aber auch Freiheiten und Rechte, die es für einen Teil der Familie dann möglicherweise nicht mehr gibt. Es sei daher wichtig, darüber zu sprechen, findet die Psychotherapeutin. Oft stelle sich dann heraus, dass die Schuldgefühle unbegründet sind.
"Ich kenne zum Beispiel Fälle, wo eine Freundin aus Italien erzählt hat, dass die Verwandtschaft erzählt hat, auf gar keinen Fall Deutschland, weil das Essen ist da so furchtbar."
Über Entfernung miteinander zu sprechen, kann für einige aber auch eine Hürde sein. Spontane Kommunikation etwa sei schwierig, so die Expertin. Trotzdem ist sie der Meinung: Wenn Verwandte vorher ein inniges Verhältnis hatten, dann ist das auch über Distanz möglich. Möglicherweise bedeute es aber, dass man mehr Arbeit reinstecken muss.