Das perfekte Buch für den Moment… wenn du Feministinnen "nervig" findest
Einhundert Wörter am Tag – so viel dürfen die Frauen in Christina Dalchers Roman "Vox" sprechen. Andere Dinge wie Arbeit oder freie Entfaltung sind ihnen auch verboten. Klingt nach dem Leben der Frauen in Afghanistan, ist aber die USA des 21. Jahrhunderts.
Im Roman "Vox" kreiert die amerikanische Schriftstellerin Christina Dalcher eine Welt, in der Frauen nur einhundert Wörter am Tag sprechen dürfen. Mädchen und Frauen tragen einen Wortzähler am Handgelenk, Jungen und Männer nicht.
Jean, die Protagonistin des Romans, ist Wissenschaftlerin, Neurologin, und hat es nicht für möglich gehalten, dass es so kommen wird. Sie hatte gehofft, dass es nicht so schlimm wird. Und dann: War es zu spät.
Patriarchat extrem
Nur Schauspielerinnen dürfen mehr sagen, während des Drehs. Frauen dürfen keine Zeichen- oder Gebärdensprache verwenden, und auch nicht schreiben oder lesen, es sei denn, es handelt sich um eine zensierte Ausgabe der Bibel. Frauen dürfen kein Smartphone oder ähnliche Technik besitzen. Sie dürfen nicht arbeiten, zumindest nicht außerhalb des Eigenheims. Frauen, die gleichgeschlechtlich lieben, und Menschen, die sich als non-binär, trans oder inter definieren oder sich irgendwie sonst der Norm widersetzen, werden in Arbeitslager gesteckt. Sex vor der Ehe ist verboten. Abtreibung ist verboten. Reisen ist verboten.
"Es ist schrecklich."
Eine beklemmende Szene: Jeans Tochter Sonia hat einen Albtraum und schreit im Schlaf. Jean wird wach und rennt schlaftrunken in das Zimmer ihrer Tochter. Sie weiß, die Uhr läuft – oder vielmehr der Wortzähler. Sie wirft sich auf Sonia und hält ihr den Mund zu. Gerade noch rechtzeitig. Jean selbst darf keine tröstenden Worte sprechen, ihr Kontingent ist schon aufgebraucht. Und es sind noch 30 Minuten bis Mitternacht. Dann wird der Zähler zurückgesetzt. Würde sie ein Wort mehr sprechen, würde das einen schmerzhaften Stromschlag auslösen.
Mit ihren Lippen formt sie Wörter für ihren Mann und ihre beiden Söhne, die von den Schreien Sonias ebenfalls wach wurden. Während ihr Mann Sonia tröstet, schlägt es 24 Uhr. Jeans Zähler wird zurückgesetzt. Sie rennt aus dem Haus in den Garten und schreit ihre ganze Wut in hundert Wörtern heraus.
"Noch kann sie sich in Gegenwart ihrer Familie sicher fühlen, wenn sie die Regeln bricht."
Als Jean eines Tages einen Brief vom Präsidenten der USA erhält, mit der Bitte, ihm zu helfen, kommt ihr das zuerst sehr seltsam vor, aber gleichzeitig auch als die Chance, nicht länger zu warten, sondern zu handeln.
Das Buch
"Vox" von Christina Dalcher, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol, erschienen im S. Fischer Verlag, gebundene Ausgabe (Hardcover): 20 Euro, Taschenbuchausgabe: 12 Euro, E-Book: 9,99 Euro, Hörbuch (9,47 Stunden) gelesen von Andrea Sawatzki; ET: 15. August 2018