Depression und SuizidgedankenLGBTQI*-Community: Stress durch Diskriminierung
Laut einer neuen Studie leiden Menschen aus der LGBTQI*-Community häufiger an psychischen Erkrankungen als der Rest der Gesellschaft. Zwei Betroffene erzählen von ihren eigenen Diskriminierungsgeschichten, die oft schon zuhause beginnen.
Burnout und Depression treten bei queeren Menschen fast drei mal so häufig auf als bei der übrigen Bevölkerung, das hat eine neue Studie aus Bielefeld herausgefunden. Und auch allgemein leiden Menschen aus der LGBTQI*-Community deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen als die restliche Bevölkerung. Körperliche Leiden dagegen tauchen bei queeren Menschen nicht auffallend häufiger auf.
Laut der Studienautorinnen und -autoren könne man diese Erkrankungen auf die Anfeindungen und die Ablehnung und den damit verbundenen chronischen Stress zurückführen, den queere Menschen Tag für Tag erfahren.
"Die Gesellschaft, in der wir leben, kann Menschen mit bestimmten sexuellen Orientierungen oder körperlichen Merkmalen buchstäblich krank machen."
Reggie und Lex sind Teil dieser Community und haben die Ablehnung durch die Gesellschaft am eigenen Leib erfahren.
Diskriminierung durch die eigene Familie
Eine posttraumatische Belastungsstörung und eine chronische Depression – das ist die Diagnose von Reggie. Reggie kommt aus der Nähe von Bonn und ist 23 Jahre alt. Mit 16 Jahren merkt sie, dass sie nicht nur auf Männer steht. In ihrer Familie erfährt sie keine Unterstützung, sondern Ablehnung. Deshalb versucht sie von da an – so gut es geht – ein Doppelleben führen.
"Es kamen immer irgendwelche Anmerkungen von der Familie. So: 'Du benimmst dich wie ein Junge. Nicht, dass du noch lesbisch wirst. Sowas akzeptieren wir hier nicht'."
Bei Reggie staut sich immer mehr Druck an, weil sie zu große Angst hat, was passieren würde, wenn ihre Familie es herausfindet. Mit 16 Jahren kommt Reggie dann nach einem Suizid-Versuch das erste Mal in eine Klinik.
Als sie 20 Jahre alt ist und ihre Mutter herausfindet, dass sie eine Freundin hat, wird sie von Zuhause rausgeschmissen. Wieder versucht Reggie sich das Leben zu nehmen und geht danach nochmal für zwei Monate in eine Klinik. Aktuell ist Reggie nicht mehr in Behandlung und hat seit eineinhalb Jahren eine Freundin.
Stress durch Geheimhaltung
Für sie ist es ganz offensichtlich, warum queere Menschen häufiger an psychischen Erkrankungen leiden. Der Stress des Geheimhaltens der sexuellen Orientierung im Alltag und die Angst vor Abweisung und Diskriminierung sei sehr belastend.
"Man hat Stress durch Diskriminierung oder Angst vor negativen Reaktionen oder Einstellungen gegenüber Homosexualität."
Trans-Menschen sind besonders stark betroffen
Der 19-jährige Lex aus Düren hat ähnliche Alltagserfahrungen machen müssen wie Reggie. Mit 13 Jahren merkt er, dass er im falschen Körper geboren wurde. Für ihn ist klar, dass er keine Frau, sondern ein Mann ist. Auf seiner erzkatholischen Mädchenschule erlebt er in seinem Abschlussjahrgang, wie sich ein Transmann outet und von der ganzen Schule heftig angegangen wird. Auch er leidet während seiner Schulzeit an Depressionen.
"In meinem Abschlussjahr hat sich ein Transmann geoutet. Und die haben sofort versucht, den aus der Schule raus zu ekeln. Und es gab eine massive Protestbewegung der Schüler."
Sein Abitur hat er mittlerweile mit 1,8 bestanden und studiert seitdem Jura. Seit er nicht mehr zur Schule geht, sind seine Depressionen zwar verschwunden, Rex leider aber an Schlafstörungen und Panikattacken. Damit ist er nicht allein. Die Studie aus Bielefeld hat herausgefunden, dass vor allem Trans-Menschen besonders stark von psychischen Erkrankungen wie Schlafstörungen oder Nervosität betroffen sind. Rund ein Drittel der Probanden gab an, sich einsam oder sozial isoliert zu fühlen.
Die Therapieversuche von Rex bleiben erfolglos, berichtet er. Ein Therapeut habe ihm indirekt gesagt, dass er niemals geliebt werden würde, wenn er wirklich das sei, als was er sich nach außen gebe.
"Ich war mal beim Therapeuten. Das war sehr seltsam. Und der hat mir quasi gesagt: Wenn ich wirklich so bin, wie ich ausgebe zu sein, dann würde mich nie jemand lieben."
Mehr Sorge um die Eltern als um sich selbst
Die Corona-Pandemie macht es jungen Menschen wie Lex und Reggie im Moment noch schwerer, ihre eigene Identiät ausleben zu können. Das beobachtet auch der Erziehungswissenschaftler und Sexualpädagoge Jürgen Piger, der in Köln das Jugencafé Anyway leitet. Hier können sich queere Menschen treffen und austauschen. Vor allem Jugendliche, die zuhause noch ihre alte Identität bewahren und sich nur bei Freunden oder im Anyway ausleben können, erleben durch die Corona-Beschränkungen große Rückschläge in ihrer Entwicklung, beobachtet er.
In den letzten zehn Jahren habe auch er die Erfahrungen gemacht, wie sehr queere Menschen in der Gesellschaft leiden. Das liege auch daran, dass viele junge Menschen mit ihren Eltern sehr vorsichtig umgehen würden, um sie nicht zu verletzen und dabei vergessen, sich um sich selbst zu kümmern.
"Ich finde sowieso, dass viele LGBTQ*-Jugendliche sehr behutsam mit Eltern umgehen. Und sich dafür verantwortlich fühlen, dass die Eltern glücklich sind."
Mehr Akzeptanz und Offenheit
Jürgen Piger fordert deshalb, dass Eltern lernen sollten, ihre Kinder so zu akzeptieren, wie sie sind. Er wünscht sich auch, dass das Thema Diversität an Schulen in Zukunft größer geschrieben wird. Das würde auch zu besseren Bedingungen innerhalb der Familien führen. Reggie wünscht sich vor allem mehr Offenheit von der Gesellschaft und ein Ablösen von Normen, denn jeder Mensch sei nunmal einzigartig.
Wenn du unter Depressionen oder Suizidgedanken leidest und nicht weißt, an wen du dich wenden sollst - hier haben wir einige Adressen zusammengestellt, an die du dich wenden kannst.