LesbosHoffnungslosigkeit im Flüchtlingslager Kara Tepe
Schlechtes Essen, keine Möglichkeit zu kochen, sich aufzuwärmen, schlechte Hygiene – die Zustände im Lager in Kara Tepe sind alles andere als menschenwürdig. Auf absehbare Zeit soll sich daran auch nichts ändern, sagt die Journalistin Franziska Grillmeier.
Sauberes, fließendes Wasser, ein Dach über dem Kopf, eine Heizung ausreichend zu essen, eine Toilette und Dusche, die wir auch abschließen können – all das haben die Menschen, die im neuen Lager Kara Tepe auf Lesbos leben müssen, nicht. Auch dort ist es im November nicht besonders warm. Ende November liegen die Temperaturen zwischen 7 Grad in der Nacht und 15 Grad am Tag, sagt Franzisk Grillmeier. Die Journalistin lebt die meiste Zeit des Jahres auf der griechischen Insel.
Um sich ein bisschen Wärme zu holen, verlassen viele Menschen morgens als erstes ihre Zelte, um Feuer zu machen für ihren Tee. Eigentlich ist das komplett verboten. Auch Heizplatten an die vorhandenen elektrischen Kapazitäten anzustecken ist nicht erlaubt. Ohnehin bricht regelmäßig die Stromversorgung zusammen. Gemacht wird es trotzdem. Denn es gibt keine andere Möglichkeit, sich warmzuhalten oder mal einen Tee aufzusetzen.
Viele Menschen gehen aber auch erst am frühen Morgen ins Bett. Denn das Lager liegt mitten an einer Windschneise und nachts weht der Wind in so heftigen Böen, dass die Zeltplanen permanent flattern. Zu laut, um Schlaf zu finden.
"Es ist bis heute noch so, dass die Leute seit dem Feuer noch nicht einmal heiß geduscht haben."
Auch heißes oder zumindest warmes Wasser gibt es nicht. Viele waschen sich mit kaltem Wasser aus Eimern. Viele Frauen müssen sich zur Körperhygiene in abgetrennte Bereiche ihrer Zelte zurückziehen, um sich dort mit Wasser aus Flaschen irgendwie zu waschen. Die Grundversorgung mit Essen soll laut offiziellen Angaben gewährleistet sein. Aber Franziska Grillmeier bekommt von immer mehr Menschen mit, die hungern. Das habe sie in all den Jahren zuvor im alten Lager nicht erlebt.
"Es gibt nur ein- bis zweimal am Tag eine Essensausgabe und viele sagen, das Essen sei ungenießbar."
Anders als im Lager in Moria haben die Menschen in Kata Tepe deutlich weniger Möglichkeiten, sich selbst zu versorgen. Im alten Lager gab es zumindest Brotbacköfen oder einen selbstorganisierten Kiosk. Das alles fällt im neuen Lager weg. Hinzu kommt die Ausgangssperrre, die in ganz Griechenland herrscht wegen der Corona-Pandemie.
Jegliche Ablenkung vom Überlebensalltag fällt damit weg. Die Kinder können nicht in die Schule gehen, aufgrund der gesunkenen Temperaturen kann auch nicht mehr im Meer gebadet werden. Dadurch sehen wir eine wahnsinnig prekäre Lage, was die psychische Belastung angeht, sagt Franziska Grillmeier.
Mangelnde Hygiene, keine Perspektive
Aus der Vogelperspektive betrachtet sieht das neue Lager sehr geordnet und gepflegt aus. Aber der Eindruck täuscht. Das macht sich auch bei den sanitären Einrichtungen bemerkbar. So gibt es zwar zahlreiche Dixie-Klos, aber die werden von den starken Böen immer wieder umgeweht. Außerdem werden die Toiletten nur unzureichend gereinigt, es gibt keine Privatsphäre. Selbst Kinder müssen morgens erst mal eine halbe Stunde durch das Lager laufen, um eine einigermaßen saubere Toilette zu finden.
"Es soll ganz klar nicht das Signal ausgehen, dass die Leute in Sicherheit kommen."
Griechische Regierung: Kein neues Lager
Ärzte ohne Grenzen fordern aufgrund der prekären Situation, das Lager Kara Tepe müsse aufgelöst werden. Ohnehin sollte das Camp nur eine Übergangslösung sein. Aber nach aktuellen Angaben des griechischen Migrationsministeriums werden die Menschen bis mindestens zum Sommer 2021 in dem Camp bleiben müssen. Es wird auch kein neues Camp gebaut werden bis dahin.
Die Regierung will vermeiden, dass die Menschen das Gefühl haben, sie würden in Sicherheit kommen. Aber selbst den Menschen, die aufs Festland transferiert werden, geht es häufig nicht besser. Viele landen in der Obdachlosigkeit.
"Im Moment ist es so, dass wir uns darauf einstellen können, dass der Winter sehr hart wird für die 7.200 Menschen, die noch im Camp leben und auch keine Alternative bereit steht."
Wurde Franziska Grillmeier noch bis vor einem Jahr regelmäßig gefragt, warum die EU, warum Deutschland es zulässt, dass Menschen in so einer Situation leben müssen, haben diese Fragen inzwischen aufgehört. Die Menschen sind gebrochen. Das Feuer war der Höhepunkt der Traumatisierung, sagt die Journalistin. Viele Menschen hätten panische Angst gehabt, in das neue Lager zu gehen. Bereits in Moria galt vor dem Brand bereits seit 170 Tagen eine Ausgangssperre.