Lena Niethammer macht eine ReiseAuf der Suche nach Europa
Europa steckt in der Krise: Brexit, Rechtsruck und die Flüchtlingsfrage haben das Konstrukt ins Wanken gebracht - ein Konstrukt, das für die Journalistin Lena Niethammer immer selbstverständlich war. Was hält uns noch zusammen? Um diese Frage zu beantworten, hat Lena eine Reise gemacht.
Im Frühjahr 2017, irgendwann zwischen dem Brexit und der anstehenden Wahl in Frankreich, wurde die Idee für die Reise geboren - zusammen mit der Greenpeace-Magazin-Redaktion, für die Lena Niethammer unter anderem als freie Journalistin arbeitet. Der Brexit saß allen noch in den Knochen. Und Lena fragte sich: Hat Europa eine Zukunft? Und wenn ja, wie sieht sie aus? Sie wollte aufbrechen und mit den Leuten sprechen, die das betrifft, mit den jungen Leuten in Europa.
29 Tage in sieben Ländern
Italien, Griechenland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen, Rumänien - diese sieben Länder standen auf Lenas Reiseliste: "In jedem der Länder brannte es ein bisschen", sagt sie. Und zwar aus Sicht der jungen Leute: Nirgends ist die Arbeitslosigkeit beispielsweise so groß wie in Griechenland. In Rumänien kam es gerade zu großen Massenprotesten, in Frankreich wurden die Rechtspopulisten immer stärker und stellten sich gegen Europa.
"Am Anfang habe ich sehr viel gelesen. Ich besitze jetzt im Grunde jedes Buch, das in den letzten Jahren über Europa geschrieben wurde."
Ihre Gesprächspartner hat Lena zum Teil schon vor der Reise kontaktiert. Dazu kamen auch noch viele Zufallsbekanntschaften. Für jedes Land hatte sich Lena ein Thema überlegt, zu dem sie schreiben wollte. Für Polen war ihr Thema der wachsende Nationalismus und Lena wollte an extrem rechte Jugendliche kommen. Da jemanden zu finden, der offen sprechen will, war eine Herausforderung.
"Für meine Generation ist Europa eine Selbstverständlichkeit. Und ich habe mich gefragt: Warum sehe ich mich eigentlich so sehr als Europäerin? Und konnte es gar nicht so genau beantworten."
Lampedusa als Ausgangspunkt
Symbolträchtiger Ort als Ausgangspunkt ihrer Reise war Lampedusa - der Ort, der für viele der Beginn von Europa ist, nämlich für die Menschen, die nach ihrer Flucht übers Meer dort landen. Lena besuchte den Friedhof, den Hafen, wo die Flüchtlingsboote ankommen und ließ ihren Blick über die Steilküste und das Meer schweifen.
An der "Porta di Lampedusa" - einem Kunstwerk, das an die verstorbenen und vermissten Migranten erinnern soll, hielt sie inne. Im Rückblick, erzählt sie, hatte sie kaum Augen für die Schönheit des Orts, der ja eigentlich auch von Touristen besucht wird. Eben weil sie so sehr auf das Flüchtlingsthema fokussiert war. "Das Meer hatte immer etwas Bedrohliches."
"Schon beim Anflug sieht man ganz viele Schiffe dort. Und ich habe mich selber dabei ertappt, wie ich auf diese Boote gucke und mich gefragt habe: Oh, was ist das jetzt für ein Boot?"
Mit zwei Geflüchteten konnte Lena sprechen, mit Sini und Kadija aus Gambia. Sind sie glücklich, nun angekommen zu sein? "Beide waren überhaupt nicht in der Lage, zu realisieren, dass sie jetzt angekommen sind", sagt Lena. Denn beide hatten auf ihrer Flucht Schlimmes erlebt: Kadijas Schwester wurde in Libyen ermordet. Sini dachte, er stirbt bei der Überfahrt. "Die Reise ist so hart, dass es keinen Grund mehr zur Freude gibt."
Joblos in Griechenland
In Griechenland, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 50 Prozent liegt, hat Lena viele junge Obdachlose gesehen. Obwohl die Leute sehr qualifiziert sind, viele ein abgeschlossenes Studium und Auslandserfahrung haben, finden sie einfach keine Arbeit - weil es keine gibt. "Man merkt, wie verzweifelt die Leute sind", sagt Lena. Und sie haben Angst, was passiert, wenn auch das letzte gesparte Geld aufgebraucht ist.
"Ich saß da manchmal und kam mir vor, wie das Symbol der Ungerechtigkeit: Ich habe keine Ausbildung und mein Studium abgebrochen und habe einen Job, von dem ich leben kann."
Europa als Experiment
Demut hat Lena auf ihrer Reise gelernt, meint sie. Was vielen jungen Leuten in Europa fehle, sei, dass auf sie geschaut werde: "Viele fühlen sich übergangen." Hat sie nun eine Antwort auf die Frage gefunden, was Europa trotz der vielen Probleme zusammenhält? Lena sagt, sie und ihre Generation seien in dem Glauben aufgewachsen: Es wird nun alles immer besser. Besonders in Deutschland hatten wir nie eine existenzielle Not. Heute denkt sie: "Europa ist ein Prozess, der noch lange braucht und auch deshalb so spannend ist. Es ist ein Experiment auch irgendwo."