Lange Wartezeiten in der NotaufnahmeNotfallmediziner: Aggressive Patienten sind Alltag
Wissen Patienten, dass sie lange in einer Notaufnahmen warten müssen, werden sie eher aggressiv. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der israelischen Ben-Gurion University of the Negev in einer Studie. Chefarzt Michael Wünning kennt das nur zu gut. Er glaubt, aggressives Verhalten liegt an einer zu hohen Erwartungshaltung der Patienten.
In den Notaufnahmen von Krankenhäusern kann es oft zu langen Wartezeiten kommen. Für viele Menschen ist das ein Ärgernis, manche werden sogar aggressiv. Da hilft es nur begrenzt, die Wartenden über die voraussichtliche Wartezeit zu informieren, haben israelische Forschende von der Ben-Gurion University of the Negev nun in einer Studie herausgefunden. Je länger die mitgeteilte Wartezeit ist, desto eher reagieren Patientinnen und Patienten aggressiv, schreiben die Autoren.
Patienten erwarten versprochene Wartezeiten
Das Ergebnis überrascht Michael Wünning nicht. Er ist Chefarzt der Notaufnahme am Marienkrankenhaus in Hamburg und kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. "Wenn man Wartezeiten angibt, macht man ein Endziel für die Patientinnen und Patienten sichtbar", erklärt er. Diese würden die Zeitangabe als verbindlich ansehen und daraus zum Beispiel schlussfolgern, das medizinische Personal würde sie nach zwei Stunden behandeln – wie anfangs eben angegeben.
"Wenn man Wartezeiten angibt, macht man ein Endziel für die Patientinnen und Patienten sichtbar, das ihnen den Eindruck gibt, zum Beispiel nach zwei Stunden dran zu sein und dann, möglichst schnell auch fertig zu sein."
Müssen die Patienten doch länger warten, kommt es häufig zu Rückfragen – Und die sind oft emotional, sagt der Chefarzt: "Die gesamte Spanne ist mit dabei: von Beleidigungen über normale Nachfragen bis hin zu körperlichen Übergriffen."
Ein Schlag an den Oberarm sei für Krankenhausmitarbeiterinnen und -mitarbeiter keine Ausnahme mehr. In der Notaufnahme des Marienkrankenhauses würden die Mitarbeiter daher den Begriff Aufenthaltszeit benutzen, statt von einer Wartezeit zu sprechen.
Patienten erwarten ein immer verfügbares Gesundheitssystem
Als Hauptgrund für die Aggressivität der Wartenden vermutet Michael Wünning eine falsche Erwartungshaltung seitens der Erkrankten. Gesundheit würden mittlerweile viele Menschen als Gut wahrnehmen, das unabhängig von Tageszeit und Ort abrufbar sein soll - ähnlich wie ein Lieferdienst, der rund um die Uhr Essen auf Knopfdruck liefert.
"In einer Gesellschaft, in der wir alle Dienstleistungen 24/7 abrufen können, da wird Gesundheit zum Gut. Diese Erwartungshaltung bringen einige Patientinnen und Patienten mit ins Krankenhaus."
Entscheidend ist daher Aufklärung, so Michael Wünning. Indem Patientinnen und Patienten verstehen, was im Hintergrund einer Notaufnahme passiert, würden sie eine längere Wartezeit eher nachvollziehen können. Viele der Wartenden bekommen zum Beispiel nicht mit, dass Rettungswagen während ihrer Zeit Schlaganfall-Patienten oder Unfallopfer einliefern oder die Mediziner erst radiologische Befunde auswerten müssen, berichtet der Chefarzt.
Verständnis durch Aufklärung
Das Marienkrankenhaus hat deshalb in den letzten Jahren versucht, mit Plakaten, Flyern oder Erklärvideos für weniger Aggressionen und mehr Verständnis unter den Erkrankten zu sorgen. Aber auch diese Maßnahmen erzielen nicht immer den gewünschten Effekt, sagt der Arzt. Daher würde sich das Krankenhaus-Team weiterhin die Frage stellen, wie es die Arbeitsabläufe einer Notaufnahme anschaulich darstellen könne.
"Kommt es zu langen Wartezeiten, müssen wir Patienten aufklären: Wenn ich weiß, was im Hintergrund einer Notaufnahme passiert, bin ich auch bereit zu warten – jedenfalls die meisten Menschen."
Neben Verständnis kann wartenden Patientinnen und Patienten auch eine Selbsteinschätzung gegen den Frust helfen, glaubt Michael Wünning. Er rät den Wartenden dazu, sich folgende Frage zu stellen: Ist meine Erkrankung so akut, dass meine Erwartungshaltung zu Recht nicht erfüllt wird?