Nach der LandtagswahlRegierungsbildung in Thüringen: Es ist kompliziert – und jetzt?

Mel aus Thüringen wünscht sich, dass es nach der Landtagswahl mehr um Landespolitik geht. Stattdessen drehe sich alles um die AfD. Doch wie könnte eine funktionierende Landesregierung aussehen, wenn niemand mit der Wahlsiegerin AfD zusammenarbeiten möchte?

Mel, 24, kommt aus Greiz. Die Kleinstadt im Südosten Thüringens ist bekannt für seine Schlösser, für die Gründerzeit-Innenstadt – und weil der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke dort bei der Landtagswahl als Direktkandidat angetreten ist. Obwohl er 200 Kilometer westlich in Eichsfeld lebt.

"Wir machen meistens nicht so positive Schlagzeilen. Leider", sagt Mel deshalb. Die Studentin hat gerade ihre Bachelorarbeit abgeschlossen und beginnt bald ihren Master.

38 Prozent der 18-24-Jährigen in Thüringen haben AfD gewählt

Björn Höcke holte das Direktmandat zwar nicht, zieht aber über die Landesliste in den Landtag ein. Seine AfD wurde mit 32,8 Prozent die mit Abstand stärkste Kraft bei der Landtagswahl in Thüringen 2024.

Björn Höcke auf Wahlkampftour durch seinen Wahlkreis Greiz II. Das Direktmandat ging an den CDU-Mandatsinhaber Christian Tischner.

Wie geht es Mel mit diesem Wahlergebnis? Sie zögert. "Es ist schon auf jeden Fall nicht so berauschend", sagt sie. "Es sind jetzt neue Zeiten, die anstehen." Sie sieht zumindest einen guten Punkt: Das Direktmandat in ihrem Wahlkreis hat der CDU-Kandidat Christian Tischner gewonnen.

"Natürlich kenne ich Leute und habe welche in meinem engeren Umfeld, die AfD gewählt haben. Das ist fast normal geworden."
Mel aus Thüringen

Auch Mel hat Christian Tischner gewählt. Weil sie ihn persönlich kennt. "Hier geht es ja wirklich um unsere Heimat", sagt sie. Da habe sie jemanden wählen wollen, zu dem sie einen Bezug hat – jemanden, "der sich wirklich dafür einsetzt und von hier kommt."

Mel war selbst politisch aktiv: Als parteilose Abgeordnete saß sie im Stadtrat von Greiz, in der gemeinsamen Fraktion von CDU und der Wählergruppe "Gemeinsam für Greiz".

In Greiz im Südosten Thüringens leben knapp über 20.000 Menschen.

Die CDU habe sie bei der Landtagswahl aber nicht gewählt, "weil ich CDU-Fan bin, sondern eher, weil sie für mich der größte Konkurrent zur AfD war." Eine eher taktische Wahl also.

Bei den 18-24-Jährigen haben in Thüringen 38 Prozent AfD gewählt. "Ja, das ist sehr erschreckend", sagt Mel. In ihrer Bubble aber sei das nicht der Fall. "Aber natürlich kenne ich Leute und habe welche in meinem engeren Umfeld, die AfD gewählt haben. Das ist fast normal geworden."

Dass die AfD in Thüringen rechtsextrem ist, hat Wählende nicht abgehalten

Mel findet wichtig, das Ergebnis der AfD "nicht wegzuignorieren". "Es haben sehr, sehr viele Menschen AfD gewählt. Wir leben in einer Demokratie, es ist sehr wichtig, darauf einzugehen und das nicht wegzunicken und zu sagen, das sind alles Rechte und wir müssen dagegen vorgehen. Da ist jetzt viel Arbeit und Austausch nötig."

Und was sagt es über die Stimmung in Thüringen aus, wenn die rechtsextreme AfD die Wahlen so deutlich gewinnt? "Das sagt vor allem einiges über die Prioritäten aus, die viele Wählerinnen und Wähler hier in Thüringen bei ihrer Wahlentscheidung gesetzt haben", erklärt Deutschlandfunk-Korrespondentin Fanny Buschert. Dass die AfD rechtsextrem ist und schlechte Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat, habe viele Menschen offenbar nicht davon abgehalten.

"Ohne die Linke wird es für die CDU schwierig. Dann wäre nur noch eine Minderheitsregierung eine Option, die von der Linken geduldet wird."
Fanny Buschert, Deutschlandfunk-Korrespondentin

Viele Wählerinnen und Wähler wollten laut Fanny Buschert etwas Neues, eine Partei, die einen Wandel verspricht – auch wenn der nicht besonders konkret ausformuliert ist. "Aber natürlich spielt auch viel Frust gegenüber der Ampel-Regierung in Berlin und der rot-rot-grünen Landesregierung eine Rolle."

Eine reine Protestpartei ist die AfD aber schon lange nicht mehr. Fanny Buschert haben bei AfD-Wahlveranstaltungen auch junge Menschen erzählt, dass sie die Partei aus Überzeugung und ihrer Inhalte wegen wählen. Und weil andere Parteien sie enttäuscht haben.

Die Regierungsbildung in Thüringen wird äußerst kompliziert. Die Optionen seien relativ klein, erklärt Fanny Buschert. Mit der AfD wolle niemand zusammenarbeiten. Doch CDU, SPD und BSW kommen gemeinsam nicht auf eine Mehrheit im Parlament.

Komplizierte Regierungsbildung

Dieses Bündnis bräuchte also die Linken, doch die CDU kann wegen einer Unvereinbarkeitsklausel eigentlich nicht mit der Linkspartei zusammenarbeiten oder koalieren. "Aber ohne die Linke wird es für die CDU schwierig. Dann wäre nur noch eine Minderheitsregierung eine Option, die von der Linken geduldet wird." Eigentlich seien sich in Thüringen aber alle einig, dass man keine Minderheitsregierung mehr haben möchte.

Welche Rolle die AfD in Thüringen einnimmt, ist noch offen. Laut Alice Weidel wäre es ein "Verrat am Wählerwillen", wenn die Partei nicht an einer Landesregierung beteiligt würde. Auch Björn Höcke betonte, dass er regieren und Ministerpräsident werden möchte. "Die werden nicht klein beigeben. Sie beharren sehr darauf, dass es schwierig ist, an ihnen vorbeizuregieren", sagt Fanny Buschert.

"Die AfD wird ein essenzieller und ausschlaggebender Player in der Landespolitik sein."
Fanny Buschert, Deutschlandfunk-Korrespondentin

Doch auch in der Opposition hat die AfD dank ihrer Sperrminorität an Einfluss in der Landespolitik dazugewonnen. Sperrminorität bedeutet: Mit mehr als einem Drittel der Sitze im Parlament kann die AfD Entscheidungen blockieren oder verzögern, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Dazu gehören die Wahl von Verfassungsrichtern oder die Entscheidung, ob es Neuwahlen gibt. "Sie werden ein essenzieller und ausschlaggebender Player in der Landespolitik sein", sagt Korrespondentin Fanny Buschert.

Mel: Thüringen muss attraktiver werden

Auch Mel ist verunsichert von der Regierungsbildung. "Wir sind in einer Demokratie. Und wenn jetzt versucht wird, das zu übergehen – aus meiner Sicht aus verständlichen Gründen –, kann das noch böse Diskussionen oder Ausschreitungen nach sich ziehen", sagt sie.

Von der bisherigen Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken fühlte sich Mel nicht vertreten. Sie fühlte sich zu keiner Partei wirklich zugehörig. Sie findet es deshalb wichtig, dass sich die Bürger in Thüringen "wieder wirklich verstanden und gehört fühlen, und nicht nur von der AfD. Das Problem ist, dass viele ihr offenes Ohr komischerweise in dieser Partei gefunden haben."

Mel möchte gerne in Thüringen bleiben

Zu den wichtigen Themen gehört für Mel vor allem die Wirtschaft. "Die jungen Leute gehen fast alle weg. Wir sind mit der älteste Landkreis in Deutschland, weil die Zukunftsperspektiven schwierig sind." Industrie gehe in andere Teile Deutschlands. Das habe auch mit der Anbindung zu tun. "Es ist wichtig, dass hier wieder ein attraktiveres Leben für Jüngere geschaffen wird, damit das nicht alles ausstirbt und die Menschen sich nicht vergessen fühlen", sagt Mel.

Mel möchte gerne in Thüringen bleiben. "Hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde, hier fühle ich mich wohl." Doch Stand jetzt würde sie nach ihrem Master überall in Deutschland hinziehen, wo sie sich verwirklichen kann. "Und das wird wahrscheinlich nicht hier passieren. Das muss man leider sagen."