VerhaltensbiologieLandflucht: Mehr Vögel zieht es in die Stadt
Unter Vögeln breitet sich eine Landflucht aus: Von ihnen kommen mehr in die Stadt, weil sie dort günstigere Lebensbedingungen vorfinden. Ein Leben in der Stadt bedeutet für die Vögel aber auch mehr Arbeit.
Manchen Vögeln gefällt es in der Stadt besser als in der freien Natur: In den Städten finden sie in Gärten und Parks einfach Nahrung. Und im Winter können sie sich in der beheizten Stadt vor der Kälte schützen. Gleichzeitig sind Städte oft laut, dicht bebaut und nachts nicht so richtig dunkel. Die Landflucht bedeutet für die Vögel daher auch, sie müssen ihr Verhalten an die neuen Gegebenheiten anpassen.
Für Nachtigallen bedeutet das: Sie fangen an zu schreien. In Berlin zum Beispiel sind sie bis zu 14 Dezibel lauter als ihre Artgenossen in den umliegenden Wäldern. Auch andere Vögel sind in der Stadt lauter als auf dem Land. Bei manchen von ihnen liegt das, wie im Fall der Nachtigall, am Verkehrslärm. Möchten sie gehört werden, gilt es für sie, gegen das Grundrauschen in der Stadt anzusingen.
"Stadtvögel singen lauter als Landvögel."
Aber auch die städtische Architektur hat einen Einfluss auf ihren Gesang. Weil Häuser, große und kleine Straßen, offene Plätze und Alleen den Schall unterschiedlich reflektieren, gehen manche Ornithologinnen und Ornithologen davon aus, die Vögel würden das Echo von Gebäuden in die Lautstärke ihres Gesangs mit einkalkulieren. Für diese Hypothese spricht, dass Vögel in den Städten auch dann lauter singen, wenn es dort still ist.
Die Nacht zum Tag machen
Die ruhigen Momente in der Stadt haben auch Rotkehlchen für sich entdecket. Anders als die Nachtigallen versuchen sie mit ihrem vergleichsweise leisen Gesang erst gar nicht gegen den Verkehrslärm anzugehen, sondern verlegen ihre Balzgesänge einfach in die stillere Nacht. Durch ihre Nachtaktivität bekommen sie allerdings weniger Schlaf, was ihren Stoffwechsel steigert und auch ihren Appetit.
Mehr Stress und weniger Schlaf
Weniger Schlaf ist für Stadtvögel generell ein Thema. Im Vergleich zu ihren Artgenossen auf dem Land stehen sie in der Stadt früher auf und gehen abends später schlafen. Amseln zum Beispiel, die im Wald leben, orientieren sich an der Sonne: Bei Sonnenaufgang beginnen sie ihren Tag, bei Sonnenuntergang beenden sie ihn.
In der Stadt ist es aufgrund von Straßenlaternen und beleuchteten Werbeflächen hingegen nachts länger hell, was dafür sorgt, dass die Amseln dort im Durchschnitt neun Minuten später schlafen und eine halbe Stunde eher aufwachen. Insgesamt sind sie also 40 Minuten länger pro Tag aktiv als im Wald lebende Amseln.
"Nachts sorgen Straßenlaternen, Ampeln, Lichtreklamen und Wohnbeleuchtungen – zumindest für Vögel – für extreme, ungewohnte Lichtverhältnisse."
Durch die Lichtverhältnisse sind Stadtvögel auch etwa einen Monat früher paarungsbereit. Bei männlichen Amseln sorgt das Kunstlicht für einen Anstieg des Testosteronspiegels und auch ihre Hoden reifen früher. Das führt dazu, dass sie eher an die Balz treten. Inwiefern die frühere Paarung für sie ein evolutionärer Vorteil ist, wird aktuell erforscht.
Junge Vögel stresst das Leben in der Stadt aber eher. Kohlmeisen zum Beispiel haben eine geringere Chance, ihr erstes Lebensjahr zu überleben als ihre Artgenossen in der Natur.