LärmWenn Gerichte über zu viel Krach entscheiden müssen

Ein Mann muss Strafe zahlen, weil sein Hahn zu laut kräht. Gerade jetzt bei der Hitze und im Home Office sind unsere Fenster offen, plötzlich nervt sogar das Schnarchen. Wie viel Lärm ist noch ok?

166 Euro muss der Italiener Angelot Boletti als Strafe zahlen, weil sein Hahn am frühen Morgen gekräht hat. Um 4.30 Uhr. Seine Nachbarn hatten sich über das Hahnengekrähe beschwert, die Polizei verständigt – und als die selbst Zeugen des lautstarken Federviehs wurden, baten sie Angelo Boletti sofort zur Kasse.

"Wenn du in der Nähe eines Bauernhofs lebst, kann es sein, dass ein Gericht eher sagt, das musst du hinnehmen, das ist hier normal."
Ilka Knigge, Deutschlandfunk Nova

Allerdings ist Krähen eigentlich genau das, was so ein Hahn nun einmal tut. Ist das vielleicht etwas, was man aushalten muss? In Deutschland ist das gar nicht so eine leichte Entscheidung. "Das kommt drauf an, wo du lebst und wie stark du beeinträchtigt bist durch das Hahnenkrähen", erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Ilka Knigge. "Wenn du in der Nähe eines Bauernhofs lebst, kann es sein, dass ein Gericht eher sagt, das musst du hinnehmen, das ist hier normal."

Ein felsenfestes Gesetz ist das aber nicht. Das Landgericht Oldenburg hat 1997 den Hähnen eines Geflügelzuchtvereins in Niedersachsen offizielle Krähzeiten verordnet. Zwischen 21 und 7 Uhr durfte nicht gekräht werden, da hatte Nachtruhe zu herrschen.

Lärmstreit: Komplizierte Entscheidungen für Gerichte

Es ist also kompliziert, denn bei jedem Lärmstreit müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden:

  • Eine Person hat das Recht auf Ruhe und erholsamen Schlaf
  • Die andere hat das Recht, ihre Wohn- und Gartenfläche so zu nutzen, wie sie möchte.

Darauf müssen Gerichte bei ihren Entscheidungen Acht geben.

Auch andere Geräusche sorgen für Arbeit bei den Gerichten. Schnarchen zum Beispiel. Im Jahr 2010 hat ein Paar seine Vermieterin wegen arglistiger Täuschung auf Schadenersatz über 8300 Euro verklagt. Die Wohnung sei nämlich ruhig - doch der Nachbar schnarchte lautstark. Nach einem Gutachten hatte das Paar den Prozess verloren, es muss das Schnarchen ertragen.

Schnarchen ist aber gar nicht so ein häufiger Streitfall, sagt der Rechtsanwalt Hans Hanagarth. Oft seien es Duschgeräusche, Küchengeklapper oder Sexgeräusche. Wenn die Wohnung dann schlecht isoliert ist, könne es ganz gut für die Mietenden aussehen. "Dann überlegt sich der Vermieter ob er 30 Prozent Mietminderung hinnimmt oder ob er endlich oben an der Decke einen vernünftigen Lärmschutz anbringt."

"In Corona-Zeiten verschärft sich die Belastung, und das würde die Gerichte dazu bringen zu sagen: Selbstverständlich, wenn die Klägerin ständig zu Hause ist, dann hat die auch ein Recht in den Uhrzeiten tatsächlich Ruhe zu haben."
Hans Hanagarth, Rechtsanwalt

Die Corona-Zeiten, in denen viele Zuhause arbeiten und den Alltag ihrer Nachbarn viel direkter mitbekommen, könnte es sein, dass das die Gerichtsentscheidungen beeinflussen könnte, meint Hanagarth. "Die Entscheidungen müssen automatisch anders getroffen werden, weil man ja nur dann eine Einschränkung der Wohnqualität hat, wenn man tatsächlich zu Hause auch wohnt." In Corona-Zeiten verschärfe sich genau diese Belastung.

Wie laut ist zu laut?

Sex und Kochen ist zu laut, wenn bestimmte Richtwerte überschritten werden. Laut mietrecht.com gilt in der eigenen Wohnung ein Geräusch aus einer Nachbarwohnung mit mehr als 40 Dezibel als über Zimmerlautstärke, in der Nacht liegt der Wert bei 30 Dezibel.

Es kommt aber auch auf die Dauer der Lärmbelästigung an. Ein Klavier zum Beispiel, so hat das Bayerische Oberlandesgericht entschieden, darf man drei Stunden täglich spielen. Schlagzeug, so das Landgericht Nürnberg, nur 45 bis 90 Minuten am Tag.

Es bleibt also immer ein: kommt drauf an.