Neues ForschungsgebietKörpergedächtnis: Negative Gefühle durch positive bekämpfen
Manche Menschen können sich noch sehr lange an bestimme Berührungen erinnern, andere schon nach einigen Tagen nicht mehr. Wie genau unser Körpergedächtnis funktioniert, ist bisher kaum erforscht. Die Neurobiologin Esther Kühn will das ändern.
Alle körperlichen Erfahrungen, an die wir uns erinnern können und die uns im alltäglichen Leben in unserem Verhalten beeinflussen, werden in unserem Körpergedächtnis abgespeichert. Diese Erfahrungen können beispielsweise Berührungen sein, die uns gutgetan haben, oder die Erinnerung an warme Sonnenstrahlen auf unserer Haut.
Auch schmerzhafte Empfindungen wie ein gebrochener Arm durch einen Unfall bleiben in unserem Körpergedächtnis abgespeichert – selbst, wenn der Arm schon lange wieder verheilt ist, erklärt die Neurobiologin Esther Kühn von der Medizinischen Fakultät Magdeburg.
"Das Körpergedächtnis ist die Gesamtheit aller körperliche Erfahrungen, an die wir uns erinnern können und die für unser tägliches Leben relevant sind."
Bisher habe sich die Gedächtnisforschung allerdings hauptsächlich auf Fragen konzentriert wie: Wie erinnern wir uns daran, wo wir unser Auto geparkt haben oder wo wir gestern gewesen sind? Wie wir uns dagegen an körperliche Erfahrungen von gestern oder letzter Woche erinnern, wurde in den letzten Jahren in der Gedächtnisforschung komplett ignoriert, sagt Esther Kühn.
Entsprechende Forschung spiele allerdings für die psychosomatische Medizin eine wichtige Rolle. So könne sie möglicherweise eine Antwort darauf liefern, warum viele Menschen über Schmerzen klagen, obwohl sie laut ärztlicher Diagnose gesund sind.
Aktive Erinnerung an Berührungen
Deshalb forscht die Neurobiologin genau auf diesem Gebiet weiter. Für diese Arbeit ist sie gerade mit dem wichtigsten europäischen Forschungspreis für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dem ERC Starting Grant, ausgezeichnet worden.
Ihren Probanden versucht Esther Kühn bestimmte körperliche Erfahrungen beizubringen, indem sie sie verschiedene Stimuli auf der Haut spüren lässt, an die sie sich am nächsten Tag oder nach einer Woche wieder erinnern sollen. Stimuli können beispielsweise Vibrationen an der Fingerspitze sein oder leichte Berührungen mit unterschiedlichen Texturen wie beispielsweise Watte oder Schleifpapier.
"Es gibt Menschen, die sich sehr gut erinnern können, was sie vor zwei Wochen noch gefühlt haben. Es gibt aber auch Menschen, die das nicht so gut können."
Bisher hat die Forscherin sehr unterschiedliche Reaktionen der Probandinnen und Probanden feststellen können. Manche Menschen könnten sich sehr gut erinnern und ziemlich genau sagen, was sie schon mal gespürt haben. Andere könnten das nicht so gut, berichtet sie.
Körperliche Erinnerungen und Emotionen hängen zusammen
Die körperlichen Erinnerungen, die in unserem Körpergedächtnis abgespeichert sind, hängen sehr stark mit den Emotionen zusammen, die wir mit diesen Erinnerungen verbinden. So können uns vor allem negative Erlebnisse in unserem Alltag stark beeinflussen, erklärt Esther Kühn. Menschen, die beispielsweise einen Herzinfarkt hatten, bewerten Herzrasen anders als solche ohne ein entsprechendes Erlebnis.
"Menschen, die einen Herzinfarkt hatten, assoziieren einen schnellen Herzschlag automatisch mit Gefahr. Das sind Situationen, in denen man sieht, wie das Körpergedächtnis unser Leben sehr negativ beeinflussen kann."
In solchen Fällen kann deshalb versucht werden, Körperteile, mit denen Patienten bisher negative Erinnerungen assoziiert haben, mit neuen, positiven Erinnerungen zu besetzen. So können die alten, negativen Emotionen überspeichert werden, so die Forscherin.
"Bei Körperteilen, wo ich das Gefühl habe, die sind mit negativen Erinnerungen verknüpft und mir ist das vielleicht sogar bewusst, kann ich versuchen dieses Körperteil gezielt mit positiven Assoziationen zu besetzen."
Beispielsweise könnte eine Sportart, bei der der ehemals gebrochene Arm eingesetzt wird und so mit einer neuen Bewegung und Aufgabe in Verbindung gebracht wird, ganz neue Assoziationen bei Patienten hervorrufen, erklärt Esther Kühn.