Kunstaktion "Schlüssel zur Stadt"Künstlerkollektiv öffnet Berliner U-Bahnhöfe für Obdachlose
Die Kunstaktion "Schlüssel zur Stadt" verteilt Schlüssel zu U-Bahnhöfen in Berlin an Obdachlose. Die BVG kritisiert die Aktion. Auch, weil sie gefährlich sei.
Damit Obdachlose nicht draußen in der Kälte erfrieren, haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zwei Kältebahnhöfe in Berlin eingerichtet. Die bleiben auch nachts geöffnet, damit wohnungslose Menschen dort Unterschlupf finden können. Geschätzt leben allerdings allein in Berlin 11.000 Menschen auf der Straße. Zwei Künstlerkollektive fanden deshalb: Zwei Kältebahnhöfe? Das reicht nicht!
"Ein armseliger Kompromiss. Denn anscheinend sind beide Seiten - die BVG so wie der Senat - nicht in der Lage, sich auf ein Konzept zu einigen, das Menschen vor dem drohenden Kältetod bewahrt."
Deshalb haben sie an einigen Bahnhöfen gewartet, bis die BVG die Tore abgeschlossen hat - und die dann wieder aufgemacht. In den Bahnhöfen wurden dann Tüten für die Obdachlosen gehängt mit Decken, einer Warnweste, Brötchen - und dem Schlüssel zum Tor.
Wie die Künstler an den Schlüssel gekommen sind, ist nicht so ganz klar. Aber, sagt die BVG, so schwierig sei das im Prinzip nicht. Denn dort arbeiten nachts sehr viele Menschen, die eben auch einen Schlüssel haben. Doch trotz Schlüssel: Wer ohne Erlaubnis den Bahnhof betritt, wenn der eigentlich abgeschlossen ist, begeht Hausfriedensbruch.
BVG: Aktion löst keine Problem
Einfach irgendwelche Bahnhöfe aufzuschließen, ändert am Problem der Obdachlosigkeit überhaupt nichts, sagt Petra Nelken, Pressesprecherin der BVG. Für sie ist klar: In einem U-Bahnhof zu übernachten, muss der letzte Ausweg sein. Denn, so sagt sie, die Bedingungen in den meisten Bahnhöfen seien schlicht menschenunwürdig. Zum Beispiel, weil es keine sanitären Anlagen gibt.
Wenn der U-Bahnhof dazu wird, dass man sagt: Wir machen einfach alle Bahnhöfe auf in Berlin und dann ist das Obdachlosenproblem gelöst, dann verschließe ich vor der Realität die Augen und dann bin ich übrigens auch nicht besonders menschenfreundlich."
Ein weiteres Argument der BVG: Es ist durchaus gefährlich, Menschen dort nachts herumlaufen zu lassen. Auch, weil die häufig nicht im besten körperlichen Zustand sind, sagt Petra Nelken. Wenn jemand besoffen über die Gleise torkelt und dort mit Starkstrom in Berührung kommt, dann ist das einfach tödlich, erklärt sie.
Aber U-Bahnhöfe bieten den Obdachlosen auch Möglichkeiten, die sie in Unterkünften nicht haben. So können sie dorthin zum Beispiel ihre Tiere mitnehmen. In vielen Unterkünften ist das nicht erlaubt.
Beef im Hintergrund
Petra Nelken bleibt allerdings dabei: Sie findet die Aktion wenig hilfreich. Im Gegenteil. In ihren Augen geht es dabei weniger um die Obdachlosen als um die Selbstdarstellung der Künstler.
"Ich halte davon gar nichts, weil es schlicht und ergreifend eitle Selbstdarstellung ist, weil es niemandem hilft, weil es niemandem nützt."
Dazu muss man wissen: Die beteiligten Künstlerkollektive sind Dies Irae - vor allem bekannt durch ihre Ad-Busting Kampagnen - und Rocco und seine Brüder. Zwischen den Letztgenannten und der BVG gibt es schon länger immer wieder Streit. Denn Rocco und seine Brüder kommen aus der Graffiti-Szene.
Deren Interventionen im öffentlichen Raum betreffen auch immer wieder die BVG. So hat das Künstlerkollektiv zum Beispiel ein Wohnzimmer in einem Schacht eingerichtet oder einen U-Bahn-Waggon mit ganz vielen Kameras ausgestattet als Kommentar zur Überwachung.
"Also da geht's im Hintergrund vielleicht auch noch um die Frage: Wem gehört hier eigentlich die Stadt."
Mehr zum Thema bei Deutschlandfunk Nova:
- Obdachlosigkeit: Wohnungslose Frauen haben besondere Probleme | Wohnungslose Frauen haben oft ihre ganz eigenen Probleme. Viele machen Gewalterfahrungen und lehnen Übernachtungsmöglichkeiten in Unterkünften ab.
- Kälte und fehlender WohnraumObdachlos: Die Probleme fangen nicht erst im Winter an | Etwa 52.000 Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Sie sind obdachlos. Schon jetzt gibt es die ersten Kältetoten. Schnelle Hilfe ist wichtig, aber löst nicht das eigentliche Problem: Wohnungen für Wohnungslose.