Krisenjahr 1923Wie Heinrich Mann um die Demokratie bangte
Vor einhundert Jahren machte sich der Schriftsteller Heinrich Mann große Sorgen um die Demokratie. Was die Krise der Weimarer Republik mit heute zu tun hat und was nicht, erzählt der Literaturwissenschaftler Stephan Braese in seinem Vortrag.
Wirtschaftliche Unsicherheit, Zukunftsangst, politische Instabilität und Sorge um die Demokratie - das alles prägte vor einhundert Jahren die Stimmung in der Weimarer Republik. Es liegt nahe, Parallelen zu heute, zum Jahr 2023, zu ziehen.
"Kaum eine der öffentlichen Äußerungen Heinrich Manns im Jahr 1923 nimmt nicht direkt oder indirekt Bezug auf die katastrophale ökonomische Situation Deutschlands."
Ja, es gibt diese Parallelen, sagt Stephan Braese. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein mit unseren Vergleichen. Denn sehr vieles ist heute anders als damals. In seinem Vortrag erzählt er, wie der Schriftsteller Heinrich Mann das Jahr 1923 erlebte. In den Jahren davor hatten seine Sorge um die wirtschaftliche Situation in Deutschland und um den Fortbestand der Demokratie immer weiter zugenommen.
Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik
Als größte Gefahr für die Demokratie sah Heinrich Mann die wirtschaftliche Ausbeutung von Arbeitenden und "die Reichsten" selbst. Die sich immer weiter verschlechternde wirtschaftliche Lage und die Hyperinflation führten dazu, dass Heinrich Mann sogar eine "Diktatur der Vernunft" forderte. Dabei hatte er es noch wenige Jahre zuvor abgelehnt, Menschen einer Idee unterzuordnen, selbst nicht dem "Primat des Geistes".
"Heinrich Manns Beispiel erinnert mit einigem Nachdruck daran, dass es keineswegs nur einen Modus verwirklichbarer Demokratie gibt."
Nur ein genauer Blick auf den konkreten politischen, sozialen und kulturellen Kontext des Jahrs 1923, so Stephan Braese, mache es möglich zu erkennen, was diese Zeit mit heute gemeinsam hat und was nicht. Genau das tut der Literaturwissenschaftler in seinem Vortrag.
Für Braese gibt es nicht nur eine Art von Demokratie
Heinrich Mann und andere diskutierten intensiv, mit welchen Veränderungen man der Krise des Jahres 1923 entkommen könnte, welche Formen von Demokratie, welche Änderungen an wirtschaftlichen und staatlichen Strukturen Verbesserungen bringen könnten. Eins, so Stephan Braese, was wir daraus für heute lernen können, ist, dass es nicht nur eine Art von Demokratie gibt, sondern viele mögliche Varianten.
Stephan Braese ist Professor für Europäisch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte an der RWTH Aachen (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen). Sein Vortrag hat den Titel "Diktatur der Vernunft? Heinrich Mann im Krisenjahr 1923". Er hat ihn am 07. Juni 2023 an der Freien Universität Berlin gehalten im Rahmen der Ringvorlesung "Berlin im Krisenjahr 1923: Parallelwelten in Kunst, Literatur und Wissenschaft“ im Rahmen des Programms "Offener Hörsaal".