Krieg in NahostWie Patrick in Gaza hilft

Patrick hilft dort, wo Helfen lebensgefährlich ist – in Gaza. Auf die Frage, woran es den Menschen fehlt, sagt er: An allem. Und trotz einer Kampfpause für Polioimpfungen: die Verhandlungen bleiben festgefahren.

Noch nie, sagt Patrick Münz, habe er einen so großen Anteil an kleinen Kindern gesehen unter vertriebenen Menschen. Der 30-Jährige ist Einsatzleiter für die Hilfsorganisation Cadus und seit zwei Monaten im Gazastreifen. Zuvor war er auch schon im März und April dieses Jahres vor Ort.

"Ich habe hier keinen Menschen getroffen, der noch nicht sein Haus, seine Stadt verlassen musste", erzählt er. Zu seinen Aufgaben gehört es, Menschen aus Krankenhäusern im Norden des Gazastreifens abzuholen und in den mittleren Teil zu transportieren. "Damit sie dort eine minimal bessere Versorgung bekommen."

"Es fehlt an allem."
Patrick Münz, Einsatzleiter bei Cadus e.V.

Doch können Menschen in Gaza überhaupt angemessen medizinisch behandelt werden? Das ist schwierig zu beantworten, sagt Patrick und nennt ein Beispiel: Menschen, deren Haut zu über 50 Prozent verbrannt ist, kämen nicht mehr auf Intensivstationen, weil man sie nicht versorgen könne. Das Infektionsrisiko sei so hoch, dass die Überlebenschance gleich null sei.

Lebensmittel, Medikamente, Equipment, Personal: "Es fehlt an allem", sagt Patrick. Es sei auch ein großes Problem, überhaupt internationale Helferinnen und Helfer nach Gaza zu bekommen.

Die drei Ziele der israelischen Kriegsführung

Der Gaza-Krieg dauert knapp elf Monate. Auslöser war der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem fast 1.200 Menschen getötet und rund über 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Israels Krieg hat drei Ziele: Alle Geiseln zurückholen, die Hamas zerschlagen und verhindern, dass so ein Anschlag nochmal passieren kann. Rund 100 Geiseln sollen noch in der Hand der Hamas sein, viele von ihnen sind wohl tot. Gleichzeitig leben in Gaza rund zwei Millionen Menschen, die nicht wegkönnen. Tausende palästinensische Zivilisten wurden getötet.

Angriffe auch in humanitärer Zone

Wie geht es Patrick angesichts dieses Krieges? "Soweit ganz gut", sagt er. "Es ist alles extrem angespannt", doch die Lage internationaler Helferinnen und Helfer sei deutlich besser als die von Palästinensern.

Die Base der Hilfsorganisation Cadus ist eine sogenannte deconflicted zone. Das heißt, über die UN wurden deren Koordinaten ans israelische Militär gegeben. "Auch wenn wir uns bewegen, geben wir unsere Standorte weiter", erklärt Patrick. "Wir haben hier das Privileg, ein System zu benutzen, was, wie die Vergangenheit gezeigt hat, zwar nicht wirklich funktioniert, letztendlich aber mehr Schutz bietet als allen anderen Menschen vor Ort."

Das Lächeln der Kollegen motiviert Patrick

Patrick wohnt in Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen. Der Ort liegt in der sogenannten humanitären Zone. "Aber wir können das nicht bestätigen, denn auch hier gibt es immer wieder Raketenangriffe. Aber um uns herum ist es aktuell eher ruhig."

Kann er schlafen? "Ja, doch", sagt Patrick. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen haben Erfahrung in einer Vielzahl verschiedener Kriegsregionen gemacht. "Viele sind einiges gewohnt, und wir haben super lokale Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag mit einem Lächeln hierherkommen. Das bringt viel Motivation mit sich." Patrick bleibt noch bis Mitte September im Gazastreifen, dann wird er abgelöst.

"Die Menschen sind verzweifelt. Die Gefahr, dass weitere Krankheiten ausbrechen, ist hoch."
Patrick Münz, Einsatzleiter bei Cadus e.V.

Aktuell läuft im Gazastreifen eine Impfkampagne in einzelnen Zonen zu bestimmten Zeiten, damit über 600.000 Kinder gegen Polio geimpft werden können. Das Virus führt zu Kinderlähmung. Kürzlich ist der erste Fall der Krankheit seit über 25 Jahren im Gazastreifen aufgetreten. Laut WHO kommt die Impfkampagne sehr gut voran.

Während der Impfungen gibt es eine Kampfpause. Doch wie es danach weitergeht, ist noch unklar. Der humanitäre Helfer Patrick hofft, dass es bald eine Lösung gibt. "Es ist wirklich dramatisch. Es gibt kaum mehr funktionierende Krankenhäuser", sagt er. "Ich kann mir nicht ausmalen, wie die Situation hier weitergehen soll. Die Menschen sind verzweifelt. Die Gefahr, dass weitere Krankheiten ausbrechen, ist hoch."

Verhandlungen: Uneinigkeit bei zwei Korridoren

Doch wie ist der aktuelle Stand bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas? Komplett festgefahren seien sie nicht, sagt Deutschlandfunk-Korrespondent Julio Segador. Es finden im Hintergrund Gespräche statt. Vor allem die USA, Qatar und Ägypten machen Druck. "Aber es gibt keine positiven Signale für eine Waffenruhe. Ganz im Gegenteil, Israel und Hamas liegen in den Punkten sehr weit auseinander."

Die Verhandlungen scheitern bislang vor allem an zwei Korridoren: Die Philadelphi-Passage liegt zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Aktuell besetzt Israel diesen Streifen militärisch, doch die Hamas fordert, dass Israel den Korridor aufgibt.

Massendemonstrationen nach Tötung von Geiseln

Erst kürzlich machte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aber klar, dass die Passage weiterhin besetzt werden soll, weil darüber Waffen nach Gaza geschmuggelt wurden. Korrespondent Julio Segador bezeichnet die Philadelphi-Passage als "Sauerstoffleitung für die Hamas, über die viele Jahre lang unter anderem Waffen geschmuggelt wurden".

Der zweite umstrittene Streifen ist der Netzarim-Korridor, der den nördlichen und den südlichen Teil Gazas teilt. Das israelische Militär bewacht ihn. Auch hier verlangt die Hamas, dass die Soldaten der israelischen Armee abziehen, bevor sie einer Waffenruhe zustimmt.

"Viele hier glauben, dass Netanjahu die militärische Besetzung wichtiger ist als überlebende Geiseln."
Julio Segador, Deutschlandfunk-Korrespondent

Nachdem sechs Geiseln von der Hamas ermordet und von israelischen Soldaten geborgen worden sind, steigt der Druck einen Deal erreichen zu müssen noch weiter. "Das war ein Riesenschock", sagt Julio Segador. 300.000 Menschen haben danach demonstriert. "Ich habe noch nie so viele Menschen auf der Straße gesehen."

Viele Menschen in Israel denken, dass Premierminister Netanjahu einem Deal mit der Hamas aus politischen und militärischen Gründen nicht zustimmt. "Viele hier glauben, dass Netanjahu die militärische Besetzung wichtiger ist als überlebende Geiseln."

Die Menschen seien schockiert und frustriert. Doch Deutschlandfunk-Korrespondent Julio Segador sagt: Solange Netanjahu eine von Rechtsnationalen und -extremen gestützte Mehrheit im Parlament hat, werde sich an der Situation daran so schnell nichts ändern.