Krieg gegen die UkraineWie sich das Leben in Russland verändert hat
Bald jährt sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wie hat sich dadurch das Leben der Menschen in Russland verändert? Demian von Osten ist Korrespondent für die ARD in Russland und hat die Menschen gefragt.
Seit fünf Jahren lebt der ARD-Korrespondent Demian von Osten in Russland und hat zu bestimmten Menschen dort über Jahre Kontakt gehalten. Für eine ARD-Reportage hat er diese Menschen befragt, wie sich ihr Leben durch den Krieg verändert hat.
Konstantin Osnos ist Mitte 50, arbeitet im IT-Bereich und hat Familie. Gegenüber Demian von Osten hat er letztes Jahr den Wunsch geäußert, aus Russland ausreisen zu wollen, obwohl er eigentlich gerne in dem Land lebt.
"Ehrlich gesagt würde ich gerne in Russland arbeiten und leben. Wenn es ein offenes, freundliches Land wäre, das sich entwickelt, ein ruhiges und menschliches Land, wenn das Leben von uns abhinge und wir ein bisschen mitbestimmen könnten. Aber das geht eben überhaupt nicht."
Tatsächlich sei er dann Mitte 2022 aufgebrochen und lebe jetzt mit seiner Familie in Israel.
Wie der Staat Andersdenkende mundtot macht
Eine 18-jährige Aktivistin hatte zu Anfang des Kriegs noch auf der Straße in Sankt Petersburg gegen den Krieg demonstriert. Die Polizei hat die Proteste niedergeschlagen, berichtet Damian von Osten. Auch die junge Aktivistin habe mit der Polizei Probleme bekommen. Sie habe auch den Kontakt zu dem ARD-Korrespondenten abgebrochen – vermutlich wegen der staatlichen Repression.
"Wenn wir in Russland sagen könnten, Leute, geht auf die Straße, dann wäre es einfacher. Aber 20 Jahre lang hat uns Putin eingeschüchtert, uns alle Instrumente weggenommen, um die Politik zu beeinflussen. Deshalb ist das sehr schwer."
Die Sanktionen scheinen sich bislang kaum bei der Bevölkerung bemerkbar zu machen. "In den Supermärkten gibt es alles", sagt Demian von Osten. Allerdings wären die westlichen Bekleidungsläden aus dem Straßenbild verschwunden. Deutlich höher als in Europa sei die Inflation in Russland. Das würde die Menschen aber weniger verunsichern, die ökonomische Unsicherheiten vor allem in den 90ern erlebt haben.
Teilmobilmachung war einschneidendes Ereignis in Russland
Die Teilmobilmachung beschäftigt die Menschen in Russland dagegen sehr. Denn dadurch habe jeder Russe und jede Russin gespürt, wie der Krieg doch auch das eigene Leben betreffen kann.
"Die Teilmobilmachung Ende September haben alle vier Leute, mit denen wir länger gedreht haben, als ein einschneidendes Ereignis gesehen."
Roman Ponomarjow ist Landwirt aus Stawropol und unterstützt Russlands Ukraine-Krieg. Er und viele andere auf dem Land würden den Krieg befürworten und seien der Meinung, dass die politische Führung alles richtig mache.
"Auf dem Land sind die Meinungen halt ganz anders. Da jemanden zu finden, der kritisch auf die sogenannte Spezialoperation, wie der Krieg hier in Russland heißt, blickt, ist fast nicht möglich."
Hier habe der russische Präsident Wladimir Putin trotz Krieg und getöteter Soldaten immer noch großen Rückhalt in der Bevölkerung. Der Landwirt spüre auch keine Einschnitte durch den Krieg. Auf seinem Bauernhof baut er Wassermelonen, Erdbeeren und Gurken an. Er hoffe auf gute Geschäfte, weil die Menschen in unsicheren Zeiten eher Vorräte anlegen würden. Außerdem seien seine Maschinen aus Russland oder Belarus, er habe auch keine Importwaren, die sanktioniert werden. "Deswegen lebt er sein Leben eigentlich weiter", sagt Demian von Osten.
Stark verbreitete Obrigkeitsgläubigkeit
Der ARD-Korrespondent findet den Landwirt typisch für sehr viele Russen und Russinnen, die einen fast unbegrenzten Glauben hätten, dass die Politiker, die das Land führen, alles richtig machen. Viele zeigten diese Obrigkeitsgläubigkeit.
Dmitrij Surusow aus Kaluga sei so ein obrigkeitsgläubiger, unpolitischer Typ Mitte 30, der bei Volkswagen in der Qualitätskontrolle arbeite. Zu Beginn des Krieges habe er dem ARD-Korrespondenten noch erzählt, dass alles gut sei und sich gerade niemand für Politik interessiere. Ende des Jahres hat Demian von Osten ihn dann wieder getroffen. Jetzt spricht Dmitrij Surusow von Angst vor dem Krieg und der Einberufung.
Gestresste, unruhige Bevölkerung
Seinen Gesamteindruck von der Bevölkerung schildert der ARD-Korrespondent als Stresszustand und Unruhe. In Umfragen würden die Menschen äußern, dass ihnen die Situation unangenehm sei und sie sich wünschen, dass es möglichst bald aufhöre. "Aber sie sagen halt auch: Wir denken, dass Russland gewinnt." Gleichzeitig stelle die Regierung die Bevölkerung auf einen langen Krieg ein, der womöglich über Jahre dauere. Die Menschen würden das zwar nicht positiv sehen, hätten aber auch keine Lösung, das zu ändern, weil das Sache der Politik sei.
Tatsächlich werde es immer schwieriger Russen oder Russinnen zu finden, die offen mit dem Korrespondenten über Politik sprechen würden. "Man redet in der Küche über Politik und nirgendwo sonst", sei eine sehr typisch Haltung für Russ*innen. Über die aktuelle Situation werde sehr wohl geredet, aber eben nur in der Familie oder mit Freund*innen.