KontaktabbruchWenn wir besser ohne unsere Eltern leben

Mit ihren Eltern spricht Andrea nicht mehr. Irgendwann konnte sie nicht mehr. Warum so was passiert und wie ein Kontaktabbruch auch helfen kann, Beziehungen innerhalb einer Familie zu verbessern, erklärt Diplom-Psychologin Sandra Konrad.

Muttertag, Vatertag oder die Weihnachtsfeiertage sind für Andrea keine einfache Zeit. Denn: Das sind alles Feste, bei denen es viel um Familie geht. Aber: Andrea hat zu ihren Eltern keinen Kontakt mehr. Seit ungefähr acht Jahren ist das so.

Der Kontaktabbruch kam für Andrea nicht plötzlich, sagt sie. Es war ein schleichender Prozess. Zu ihrem Vater hatte Andrea nie viel Kontakt. Ihre Eltern trennten sich, als sie noch ein Kind war. Danach lebte sie zusammen mit ihrer Schwester bei ihrer Mutter, bis sie dort mit 16 auszog.

"Für mich und meine Schwester war Zuhause nie ein normales Leben möglich."
Andrea hat keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern und zu ihrer Schwester

Zuhause hat Andrea nie als einen Ort erlebt, an dem sie sich rundum sicher und sorglos fühlen konnte. Wenn sie ihren Vater beschreibt, erzählt sie von den starken Wutausbrüchen, die sie von ihm kennt. Und das Verhältnis zu ihrer Mutter war in einer Schieflage.

Andrea

"Meine Mutter war schon immer psychisch sehr schwer krank. Sie hatte depressive Zustände und Zwangsvorstellungen", sagt sie. Zu ihrer Mutter hatten Andrea und ihre Schwester keine typische Eltern-Kind-Beziehung: "Meine Mutter hat uns immer das Gefühl gegeben, dass wir uns um sie kümmern müssten – sie versorgen, ihr Geld geben. Es ist ein bisschen so, als ob wir ihre Eltern sind", erklärt Andrea. Wenn sie ihrer Mutter aber Hilfe anbat, hätte sie die nicht angenommen. Trotzdem mache ihre Mutter ihr Schuldgefühle.

"Ich habe damals schon gemerkt, dass es so nicht weitergeht und ich den Kontakt abbrechen muss."
Andrea hat keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern und zu ihrer Schwester

Das alles hat Andrea sehr belastet. "Es ist dann superschwierig, ein eigenes Leben zu führen, nach vorne zu schauen und psychisch stabil zu bleiben – das ist fast unmöglich im Kontakt mit meinen Eltern", sagt sie. Wie es dann schließlich zum Kontaktabbruch gekommen ist, daran erinnert sich Andrea nicht mehr. Für sie war es wichtig, mit der Vergangenheit abzuschließen, um ihre Wunden zu heilen.

"Das Thema Kontaktabbruch ist auch mit sehr viel Scham verbunden."
Sandra Konrad, Diplom-Psychologin

So einen Schritt zu gehen, den Kontakt mit den Eltern abzubrechen, dahinter steckt oft ein langer Leidensweg, erklärt Diplom-Psychologin Sandra Konrad. In vielen Fällen häufen sich wiederkehrende Enttäuschungen oder scheinbar unlösbare Konflikte so stark an, bis irgendwann der Moment kommt, an dem die Notbremse gezogen wird.

Treffen mit ihren Eltern beschreiben Betroffene dann beispielsweise so, dass "sie sich regelrecht vergiftet fühlen und auch wirklich Tage oder auch Wochen brauchen, bis sie sich davon wieder erholt haben", so die Psychologin.

"Ich habe noch niemandem kennengelernt, der aufwacht und sagt: Heute ist ein super Tag, um den Kontakt mit meinen Eltern abzubrechen. Sondern es hat oft vorher schon viele Ups und Downs gegeben."
Sandra Konrad, Diplom-Psychologin

Für viele von ihnen ist ein Thema, dass sie sich von ihren Eltern entwertet fühlen oder sie finden, dass ihre Eltern so hohe Erwartungen haben, die sie nicht erfüllen können. Bei anderen ist es eine Lieblosigkeit, die sie schon seit ihrer Kindheit wahrnehmen. Sie fühlen sich nicht von den Eltern gesehen. Es ist oft ein zu viel oder zu wenig, wovon Betroffene berichten, sagt Sandra Konrad.

Kontaktabbruch als Pause, nicht als Ende

Ein Kontaktabbruch kann dann befreiend sein – und er muss auch nicht für immer sein. Wenn eine Beziehung angespannt ist, kann ein vorübergehender Kontaktabbruch eine Möglichkeit sein, dass alle Betroffene einmal durchatmen und darüber nachdenken, was sie jeweils zu dem Konflikt beigetragen haben. Und sich auch fragen: Was brauche ich, damit der Kontakt wieder auf einer besseren Ebene stattfinden könnte?

Viele Familien kommen sich so auch wieder näher, sagt Sandra Konrad. "Aber diese Wiederannäherung funktioniert nur, wenn in dieser Pause auch so etwas wie Selbstreflexion stattgefunden hat. Wenn Eltern zum Beispiel wirklich bereit sind, zu überprüfen: Habe ich vielleicht an der oder der Stelle irgendwas gemacht – vielleicht mit der besten Intentionen – aber habe etwas gemacht, das bei meinem Kind nicht gut angekommen?" Hierfür braucht es die Fähigkeit, zuzuhören und aufeinander zuzugehen. Für diesen Prozess kann es sich auch lohnen, sich professionelle Hilfe zu holen wie über Familientherapeut*innen.