Journalistin zur Lage in Idlib"Die Menschen brauchen jetzt Schutz vor Ort"
Der Konflikt um die syrische Provinz Idlib eskaliert weiter. Mittendrin: Mehr als 1,5 Millionen Menschen, die schutzlos auf Hilfe hoffen. Im Mittelpunkt des Konflikts stehen Recep Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin. Sie versuchen, eine Lösung zu finden. Keine einfache Aufgabe: Ihre Interessen könnten nicht gegensätzlicher seien.
Derzeit harren mehr als 1,5 Millionen Menschen an der türkisch-syrischen Grenze in der Provinz Idlib aus: Sie warten verzweifelt auf Hilfe. Wohin sie sollen, ist nicht klar. Die Türkei könne die syrischen Geflüchteten nicht aufnehmen, heißt es aus Ankara. Der türkische Staat kümmere sich schon um vier Millionen Geflüchtete. Das zeigt: Die Idee, Erdoğan als Türsteher Europas zu benutzen, funktioniert nicht nachhaltig, sagt Journalistin Kristin Helberg.
"Erdoğan als Türsteher Europas – das funktioniert nicht nachhaltig."
2016 hatte die Europäische Union zusammen mit der Türkei den Flüchtlingspakt beschlossen. Die Vereinbarung: Die Türkei nimmt die Geflüchteten auf und hindert sie daran, in die EU zu kommen. Im Gegenzug zahlt die EU Geld für die Versorgung der Geflüchteten.
Türkei fordert Schutzzone in Provinz Idlib
Hier sieht Kristin Helberg das Kernproblem des Konflikts: "Würden sie die Syrer in Syrien schützen, bräuchten sie nicht in die Türkei zu fliehen", erklärt sie. Dazu ist es allerdings nicht gekommen – stattdessen drängen immer mehr syrische Geflüchtete an die Grenze zur Türkei.
Dort sollen sie bleiben, so der Plan des türkischen Staatspräsidenten. Würde die Region Idlib zur entmilitarisierten Schutzzone erklärt, wären sie dort sicher und müssten nicht vor dem Assad-Regime fliehen.
Russland stellt sich vor syrischen Präsidenten
Dafür bräuchte es allerdings die Einsicht des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Der unterstützt den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und könnte Druck auf ihn ausüben. Das Problem: Im Konflikt um Idlib verfolgen die Türkei und Russland gegensätzliche Ziele, erklärt Kristin Helberg. Wladimir Putin unterstützt nämlich den syrischen Präsidenten bei seiner Rückeroberung des gesamten syrischen Staatsgebietes, die Provinz Idlib miteingeschlossen.
"Putin möchte, dass sein Schützling, der syrische Präsident Assad, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern darf, also auch die gesamte Provinz Idlib."
Denn: Durch die Region Idlib zieht sich die Autobahn M4. Sie ist eine entscheidende Verbindungsstraße zwischen der Stadt Aleppo, die im Norden Syriens und östlich von Idlib liegt, und der Küste des Landes. Die Autobahn M4 dient dem syrischen Präsidenten vor allem zur Kontrolle des Waren- und Personenverkehrs.
"Präsident Assad hat das klare Ziel, dass er die Hauptverkehrslinien dort kontrollieren möchte. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch die Autobahn M4."
"Alles nördlich davon, könnte man sagen, braucht Assad nicht", erklärt Kristin Helberg. Demnach könne das Gebiet nördlich der M4 bis zur türkisch-syrischen Grenze zum Schutzgebiet werden – inklusive der Provinzhauptstadt Idlib. Das bedeutet: Die Menschen wären sicher und könnten dortbleiben, statt in die Türkei zu fliehen. Allerdings leben im Norden der Provinz Idlib auch viele islamistische Rebellen und Dschihadisten, die Gegner des syrischen Präsidenten sind, sagt sie.
Zwei Lager und gegensätzliche Interessen
Beim heutigen Treffen (05.03.2020) zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan geht es also darum, eine Lösung für den Konflikt um die Provinz Idlib zu finden. "Die sollte der Türkei ermöglichen, die Grenzen dichtzuhalten", sagt Kristin Helberg. Denn: Der türkische Angriff auf syrische Kampfjets zeige, dass der militärische Druck steige.