KolonialgeschichteDie kulturelle Borniertheit der Eroberer

Die Europäer begeisterten sich in der frühen Neuzeit für China, Japan und Asien. Gleichzeitig betonten sie ihre eigene vermeintliche kulturelle Überlegenheit. Wie passt das zusammen? Ein Vortrag des Historikers Wolfgang Reinhard.

Im Englischen Garten in München steht der Chinesische Turm. Ein Holzbau mit fünf Stockwerken, eine Pagode im Stil chinesischer Tempel erbaut von Europäern – so, wie es im 18. Jahrhundert Mode war. Vor kultureller Überheblichkeit oder Rassismus bewahrte das die Europäer aber nicht. Der Philosoph Immanuel Kant zum Beispiel hielt Asiaten für minderwertige Menschen.

"Japaner und Chinesen galten den Europäern von Haus aus als Weiße. Erst im 18. Jahrhundert hat Immanuel Kant sie zu 'Gelben' gemacht."
Wolfgang Reinhard, Historiker

Aus Aufgeschlossenheit wird Borniertheit

Der Historiker Wolfgang Reinhard geht der Frage nach, wie aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen bestimmte Länder, Kontinente und Imperialmächte im Laufe ihrer Geschichte waren. Dafür verwendet Reinhard den Begriff der "Resonanzsensibilität". Er baut damit auf der Resonanztheorie des Soziologen Hartmut Rosa auf.

"Als die Neugier der Entdecker sich in die Habgier von Eroberern verwandelte, verschwand die resonanzsensible Aufgeschlossenheit und machte der dissonanten Borniertheit institutionalisierter Verachtung Platz."
Wolfgang Reinhard, Historiker

Wie haben sich die Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika und zwischen Europa und Ostasien in der frühen Neuzeit entwickelt?

"Wie allen Europäern war auch den Jesuiten in Japan ihre eigene kulturelle und religiöse Überlegenheit ganz selbstverständlich. Sie mussten aber unverzüglich erkennen, dass auch die Japaner ihrerseits die Europäer für Barbaren hielten, vor allem wegen ihrer schlechten Manieren."
Wolfgang Reinhard, Historiker

Gegenseitiges Interesse und Faszination aber auch Überheblichkeit und Verachtung von damals wirken bis heute nach. Die aktuelle Arbeits- und Bildungsmigration nach Europa zum Beispiel lässt sich ohne die sprachlichen und kulturellen Verbindungen zwischen ehemaligen Kolonialmächten und den von ihnen kolonialisierten Gebieten in Asien, Lateinamerika und Afrika kaum verstehen.

Wolfgang Reinhards Vortrag hat den Titel "Die Resonanzsensibilität von Kulturen". Der Historiker hat ihn am 3. November 2020 online gehalten, im Rahmen der Ringvorlesung "Imperien und Zugehörigkeiten" des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster.

Unser Bild zeigt die Ruinen der Pauluskirche in Macau, das bis 1999 eine portugiesische Kolonie war.