KoginitionspsychologieWarum unser Gehirn gerne eine Abkürzung nimmt
Manchmal sind wir alle ziemlich doof und erkennen auch simple Zusammenhänge nicht. Unser Gehirn ist daran schuld: Das sucht nämlich gerne den schnellsten und einfachsten Weg.
Es ist ein paar Tage her, da hat ein Spaziergänger in Japan in einem Park einen kleinen, süßen Hund entdeckt. Den wollte er streicheln, wie man das halt so macht. Das Dumme nur: Das war kein Hund, der Mann hat ein Bärenbaby gestreichelt. Das fand die Bärenmama natürlich nicht so gut, hat den Mann angegriffen. Zum Glück blieb er unverletzt.
Ein anderes Beispiel: Viele verstehen nicht, was exponentielles Wachstum ist. In einem Experiment konnten von 44.000 Menschen nur die Hälfte eine einfache exponentielle Rechenaufgabe lösen.
System 1 im Gehirn sucht die schnelle Lösung
Woran liegt das? Wir Menschen sind nicht dumm. Aber wir haben in unseren Gehirnen zwei Systeme. "System 1 und System 2 sind im Prinzip Kürzel für die Arten, wie wir im Gehirn Informationen verarbeiten", sagt Christian Stöcker, Kognitionspsychologe.
"System 1 ist die permanente Abkürzung im Gehirn. Abkürzungen sind meistens gut, aber wenn es um was Schwieriges geht, sind sie eher schlecht."
System 1 muss auf Zack sein: Es schätzt für uns die Lage schnell ein und sucht sofort nach Lösungen. Allerdings reagiert es gerne auch zu schnell und zeigt unsere Vorurteile:
- Flauschiges Tier? Hund! Streicheln!
- Ball fliegt? Fangen!
"System 1 ist die permanente Abkürzung im Gehirn", sagt Christian Stöcker. "Abkürzungen sind meistens gut. Aber wenn es um was Schwieriges geht, sind sie eher schlecht."
System 2 ist nachdenklich, langsamer und anstrengender
Es wäre in manchen Fällen gut, wenn System 2 anspringen würde, das ist gemächlicher, denkt nach, hinterfragt. "Wenn man sich anstrengen oder irgendwelche Formeln, die man mal gelernt hat, anwenden muss, dann ist in der Regel System 2 am Start", sagt Christian Stöcker. Aber nicht immer greift System 2 ein, System 1 ist oft schneller und lässt System 2 nicht zum Zug kommen.
Dabei wäre es gar nicht schlecht, würden wir häufiger auf System 2 zurückgreifen. Christian Stöckers Beispiel: Wenn sich die Corona-Zahlen jede Woche verdoppeln, kommt man schnell in den Bereich, wo es gefährlich wird, System 1 würde aber melden: "Ach, im Moment ist noch alles ok." Da käme man schließlich in Schwierigkeiten. System 2 denkt weiter.
Unser System 2 wird eigentlich dauernd trainiert, in der Schule, im Job, wenn wir Regeln lernen oder Bücher lesen. "Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir uns ab und zu vor Augen halten, dass wir diese Kurzschlussmechanik im Kopf haben", sagt Christian Stöcker. "Es ist sinnvoll einen Schritt zurückzutreten und sich zu überlegen, ob der erste Gedanke auch der beste ist - oder ob man sich nicht doch irrt und auf die Abkürzung reinfällt."
Youtube und TikTok machen sich System 1 zunutze
Aber wir Menschen sind auch ausgezeichnet auf System 1 konditioniert. Beispiel Youtube: Wenn wir uns dort drei Minuten Video angucken, startet das nächste automatisch. "Das ist ein typischer System-1-Prozess", sagt Christian Stöcker. "Es ist einfacher weiterzugucken, als damit aufzuhören." Bei Netflix läuft das auch so, von TikTok ganz zu schweigen.
"Wir müssen alle wissen, dass wir in unserem Kopf ein recht schlichtes Teufelchen sitzen haben, das uns dazu verführt, ein bisschen arg abkürzen zu wollen."
Grundsätzlich hat Christian Stöcker gar nichts gegen Youtube und Co. "Aber es ist wichtig zu verstehen, dass wirklich alles immer schneller wird", sagt der Wissenschaftler. Diese Dinge würden in Wechselwirkung mit unserem manchmal etwas eingeschränkten kognitiven Apparat treten, also mit unserer Denke. "Dabei entstehen Situationen, in denen Menschen Dinge machen, die nicht ganz so schlau sind."
Das führe nicht in die Katastrophe: Aber wir sollten wissen, dass in unserem Kopf ein schlichtes Teufelchen sitzt, dass uns verführt, ein bisschen arg abkürzen zu wollen.