KnochenfundeDas unsichtbare Erbe des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts
Auf dem Gelände des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin Dahlem wurden 2014 menschliche Knochen gefunden. Woher stammen sie, was ist die Geschichte dieses Fundes und wer trägt für sie Verantwortung? Ein Vortrag der Archäologin Susan Pollock.
Am 1. Juli 2014 wurden Abflussrohre entlang der Ostseite des Bibliotheksgebäudes der Freien Universität Berlin ausgetauscht. Ein Kleinbagger kam zum Einsatz. Er stieß auf einen grausigen Fund, eine Grube mit menschlichen Knochen. Weil der Verdacht auf ein Verbrechen bestand, wurden die Bauarbeiten gestoppt und die Polizei gerufen.
"Das, was unter der Erde lag und unsichtbar war, wurde ans Tageslicht geholt. Das, was vergessen oder unbekannt war, wurde ins öffentliche Bewusstsein gezogen."
Die Knochen kamen in die Gerichtsmedizin, wurden untersucht, und man kam zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um einen Fund aus neuerer Zeit handelte. Anstrengungen, die Herkunft der Knochen zu erfassen, wurden nicht gemacht, sagt die Archäologin Susan Pollock. Im Dezember 2014 wurden die Knochen dem Krematorium Ruhleben übergeben, eingeäschert und anonym begraben. Ein Skandal, denn es war bekannt, dass der Fundort auf dem ehemaligen Grundstück des "Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik" lag.
"Die Knochen, die im Erdboden gefunden wurden, waren keine Bestattungen sondern eine schäbige Entsorgung, eine Entsorgung von Menschen. Dies muss nicht nur als ethisch unreflektiert eingestuft werden, es war zynisches und unmenschliches Verhalten."
Es gab den Verdacht, dass Knochen von Opfern aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern stammen könnten. Susan Pollock ist Archäologin und beschäftigt sich mit Ausgrabungen des 20. Jahrhunderts. Dass auch so relativ junge Gegenstände und Fundstücke Teil archäologischer Forschungen sind, ist neu. Doch wenn sich Historiker*innen nur auf schriftliche Quellen verlassen, dann entgeht ihnen oft ein Teil der Geschichte, der Teil, der verschwiegen oder verborgen werden sollte, sagt Pollock.
Woher stammen die gefunden Knochen?
In ihrem Vortrag erzählt sie, was es mit den Knochenfunden in Berlin-Dahlem auf sich hat, wie Archäolog*innen auch nach der Einäscherung des ersten Fundes weiter gegraben haben und was sie entdeckt haben. Zutage kamen viele weitere Knochenelemente, tierische und menschliche. Sie stammen aus verschiedenen Zeiten, von Menschen verschiedenen Alters und kommen aus dem ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.
"Wessen Erbe ist das tatsächlich? Das Erbe derjenigen, die es vergraben haben, oder nicht vielmehr der Nachfahren, deren Gebeine hier verborgen waren?"
Wer diese Menschen waren und aus welchen kulturellen Gruppen sie kamen, haben die Forschenden nicht bestimmen können. Wie geht man deshalb mit diesen Funden um? Wie kann man ihre verborgene Geschichte sichtbar machen? Wer trägt Verantwortung für die Fundstücke? Wie wird man den Toten gerecht? Um all diese Fragen geht es im Vortrag.
"Es ging nicht nur um eine physische Sichtbarmachung, sondern auch um eine Aufarbeitung und Offenlegung."
Susan Pollock ist emeritierte Professorin für Westasiatische Archäologie an der Freien Universität Berlin. Ihr Vortrag hat den Titel "Eine vergiftete Landschaft. Das unsichtbare Erbe des Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik". Sie hat ihn am 16. Januar 2024 an der Freien Universität Berlin gehalten im Rahmen der Ringvorlesung "Geschichte der Freien Universität. Tophographie, Institution, Erbe".