Theorie der radikalen FlankeRadikaler Protest - mehr Akzeptanz für gemäßigten Klima-Aktivismus
Teile in der Bevölkerung sind genervt von den Aktionen der Letzten Generation. Diese helfen aber den Forderungen der Klimabewegung nach mehr Klimaschutz, weil sie als gemäßigter wahrgenommen werden. Der Effekt wird als radikale Flanke bezeichnet.
Es gibt verschiedene Klimagruppen wie Extinction Rebellion, Ende Gelände oder die Letzte Generation, die mit radikalen Protestformen nicht nur Aufmerksamkeit auf das Thema Klimawandel ziehen, sondern auch zu Widerspruch und Ablehnung ihrer Protestformen in der Bevölkerung führen.
Gemäßigtere Klimaaktivisten befürchten, dass das für die Sache, mehr Klimaschutz, eher einen gegenteiligen Effekt haben könnte und Menschen sich eher von dem Thema abwenden, anstatt sich ebenfalls für mehr Klimaschutz einzusetzen. Genau diesen Zusammenhang hat die Uni Erfurt im Rahmen des Planetary Health Action Survey (PACE) untersucht.
Grenzen der Radikalität und Unterstützung
An der Uni Erfurt wird regelmäßig erfasst, wie sich die Einstellungen zu Maßnahmen für den Klimaschutz verändern. Beobachtet wird, wie sich das Wissen, die Risikowahrnehmung, das Vertrauen, die Einstellungen und das Verhalten in der Klimakrise entwickeln. Der Schwerpunkt liegt auf der Beobachtung, welche Bereitschaft die Menschen haben, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Was tun sie selbst aktiv? Welche Maßnahmen befürworten sie?
Gezielt haben die Forschenden den Effekt der radikalen Flanke in Bezug auf radikale Klimaproteste untersucht. Dafür haben sie den Befragten die jüngsten Aktionen der Fridays for Future, der globale Klimastreik am 3. März 2023, und der Letzten Generation, schwarze Farbe auf dem Grundgesetz-Denkmal am 4. März 2023, vorgelegt. Die Teilnehmenden sollten die Radikalität der Gruppen einschätzen und angeben, inwieweit sie diese Aktionen unterstützen.
Brave Klimaaktivisten - böse Klimaaktive
Das Ergebnis: Fridays for Future wurden als weniger radikal eingeschätzt und ihre Forderungen eher unterstützt. Interessant dabei ist, dass Teilnehmende, die zuerst einen Text über die Letzte Generation gelesen hatten, danach Fridays for Future weniger radikal eingeschätzt haben und ihre Aktionen etwas mehr unterstützt haben als diejenigen, die zuerst Informationen über Fridays for Future bewerten sollten. Dieser Effekt wird als radikale Flanke bezeichnet. Eine moderate Gruppe kann so von den radikalen Aktionen einer anderen Gruppe profitieren.
Allerdings haben die Forschenden auch festgestellt, dass je größer die eigene Bereitschaft ist, aktiv zu werden für mehr Klimaschutz, deutlich mehr zu einer Unterstützung der Gruppen führt als die radikale Flanke.
Die Theorie der radikalen Flanke wurde auch schon früher bei anderen sozialen Bewegungen untersucht. Sie lässt sich beispielsweise auch in der veränderten öffentlichen Wahrnehmung solcher radikalen Proteste erkennen. Durch die Radikalität des Protests werden Medien auf sie aufmerksam und berichten. In einer Welt, in der um Aufmerksamkeit hart gekämpft wird, ist das ein Pluspunkt, denn dadurch wird über das Thema öffentlich diskutiert.
Entwicklung zu einer progressiveren Mitte
Die radikale Flanke kann sich auf die Mitte einer Bewegung so auswirken, dass diese zwar die radikalen Proteste ablehnt, aber durch diese radikale Flanke einen starken Gegensatz zu ihrer Mitte wahrnimmt und so stärker die eher gemäßigteren Forderungen beispielsweise der Fridays for Future unterstützt, erklärt Georg Meyer-Hoeven. Er hat im Rahmen dieser Untersuchungen seine Master-Arbeit geschrieben.
"Wir vergleichen die Gruppen und eventuell nehmen wir durch eine radikale Flanke plötzlich einen starken Kontrast zu der Mitte wahr und unterstützen dann die Mitte mehr, weil wir uns denken: Also das, was jetzt hier die Radikaleren machen, geht mir zu weit. Aber Fridays for Future, da gehe ich dann doch mit."
Radikaler Protest könne polarisieren und auch negative Auswirkungen haben, sagt Georg Meyer-Hoeven. Das zeigten auch die Studienergebnisse. Die Proteste polarisieren, sagt er, aber wie diese Themen in der Gesellschaft verhandelt würden, sei sehr komplex und nicht mit einer eindeutig negativen oder positiven Wirkung zu beantworten.