Klima- und UmweltpolitikNachhaltigkeit ist nicht zwingend nachhaltig
Nachhaltigkeit ist ein globaler Schlüsselbegriff geworden. Toll, oder? Nein, findet der Kulturwissenschaftler Falko Schmieder. Im Vortrag argumentiert er: Das Aufkommen des Nachhaltigkeitsparadigmas hat Naturzerstörung verschärft, nicht verbessert.
Nachhaltige Mode, nachhaltige Lebensmittel, nachhaltige Freizeitgestaltung: Nachhaltigkeit ist nicht nur ein in der deutschen Gesellschaft seit langem immer weiter verbreitetes Konzept, sondern seit den 1990ern ein zentrales Handlungsprinzip für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weltweit.
"Es scheint an der Zeit, den gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Leitbegriff der Nachhaltigkeit einer kritischen Revision zu unterziehen.“
Die Karriere des Begriffs beginnt im deutschsprachigen Raum schon im 18. Jahrhundert. Da taucht in der Forstwirtschaft die Frage auf, wie der Anbau und die Nutzung von Holz so gestaltet werden könnten, dass diese Ressource nicht ausgeht – nachhaltig eben.
Diese Idee wurde im 20. Jahrhundert dann auf andere Ressourcen übertragen, als das Bewusstsein einsickerte, dass Rohstoffe, Wasser oder Land etwa eben nur in begrenzter Menge zur Verfügung stehen.
Anfang der 1990er setzte sich der Begriff global als Leitbild durch, erzählt Kulturwissenschaftler Falko Schmieder in seinem Vortrag. Die Idee: Nachhaltige Entwicklung soll die Bedürfnisse der Gegenwart mit der künftiger Generationen in Einklang bringen.
Nachhaltigkeit als Konzept des ökonomischen Wachstums
Gemeinhin wird das als Erfolgsgeschichte erzählt – diese Lesart will der Kulturwissenschaftler aber nicht teilen. Seit dem Aufkommen des Paradigmas der Nachhaltigkeit in den 1980er Jahren hätten sich Umweltprobleme, wie etwa Folgen durch den Klimawandel, verschärft.
Der Nachhaltigkeitsdiskurs hat diese katastrophalen Entwicklungen nicht nur nicht aufhalten können, sagt er, sondern er habe sogar dazu beigetragen, die überfällige Loslösung "vom Imperativ des quantitativen Wachstums zu verhindern" und dem – seiner Ansicht nach zurecht – in die Kritik geratenen kapitalistischen Wirtschaftssystem "einen neuen, grünen Schein verliehen".
"Die zerstörerischen Dimensionen des Nachhaltigkeitsdiskurses lassen sich entlang der notorischen Behauptung prüfen, dass zwischen Ökologie und Ökonomie kein Widerspruch bestehe."
In seinem Vortrag erklärt Falko Schmieder die Geschichte des Nachhaltigkeitsbegriffs, seinen Bedeutungswandel und seine Bedeutungen heute und bewertet den Nachhaltigkeitsdiskurs im Hinblick auf seine ökologischen Konsequenzen.
Seines Erachtens verdrängt der Begriff die Einsicht, dass die kapitalistische Produktionsweise zwangsläufig nur um den Preis von Umweltzerstörung zu haben ist, und sich dieses Dilemma nicht mit technologischem Fortschritt auflösen lässt. Wir brauchen neue Ansätze und neue Begriffe, fordert er.
"Das Konzept Nachhaltigkeit verleiht dem Wirtschaftswachstum ein Qualitätssiegel, dem nicht Selbstbegrenzung, sondern dauerhafter Anstieg eingeprägt ist."
Der Kulturwissenschaftler Falko Schmieder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen unter anderem Theorie und Praxis der Begriffsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Geschichte des Marxismus und Politische Ökologie.
Seinen Vortrag "Nachhaltigkeit als Ideologie" hat er am 19. Januar 2023 im Rahmen der Ringvorlesung "Nachhaltigkeit - Über Ressourcen und Bedürfnisse" gehalten, die das Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Uni Bonn dortigen Arbeitsstelle Internationales Kolleg veranstaltet hat.