Russische LiteraturKampf gegen das Urheberrecht
Seine Texte dürfen, so verlangt es der russische Dichter und Musiker Kirill Medwedew, nur auf dem Wege der Piraterie veröffentlicht werden, ohne Zustimmung des Autors. Sein Manifest gegen das Urheberrecht verändert den Literaturbetrieb. Ein Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Annette Gilbert.
Das Recht am eigenen Wort ist ein hohes Gut. Es ermöglicht Autorinnen und Autoren, von ihrer Arbeit zu leben. Sie können Verträge mit Verlagen abschließen, die ihre Werke publizieren und ihnen so eine Öffentlichkeit verschaffen. Diesem System hat der russische Autor und Aktivist Kirill Medwedew den Kampf angesagt.
"Ich verfüge nicht über die Urheberrechte an meinen Texten."
Manifest zum Urheberrecht
In einem kurzen Manifest zum Urheberrecht verzichtete Medwedew 2004 auf seine Rechte und machte damit international Schlagzeilen. Sein Manifest wirft viele Fragen auf: Warum verzichtet jemand freiwillig auf seine Rechte? Geht das überhaupt? Was für Konsequenzen hat das für den Literaturbetrieb und die Werke selbst?
"Meine Texte dürfen nur in Form eines selbstständigen Buchs veröffentlicht werden, [...] auf dem Weg der Piraterie, d.h. ohne Zustimmung des Autors, ohne jegliche Kontakte und Absprachen mit ihm, was im Impressum vermerkt werden muss."
Für die Literaturwissenschaftlerin Annette Gilbert ist Medwedews Manifest und seine Abwendung vom etablierten Literaturbetrieb eine Fortführung des Widerstands russischer Autoren gegen ein staatlich reguliertes Verlagswesen. Medwedew, sagt Gilbert in ihrem Vortrag, setzt den Samizdat fort. Diese Form des Selbstverlags existierte jahrzehntelang in Ländern wie der Sowjetunion, der DDR, Polen oder der Tschechoslowakei. Nicht systemkonforme Literatur, die nicht den Anforderungen des sozialistischen Realismus entsprach, wurde unter der Hand kopiert und weiterverbreitet.
"Beim Urheberrecht handelt es sich um ein im Wesentlichen unveräußerliches Recht, das gar nicht abgegeben werden kann. Selbst der erklärte Verzicht auf die Rechte würde immer noch eine Ausübung eben dieser Rechte darstellen."
An diese Tradition knüpft Medwedew an, sagt Gilbert. Durch Internet, Blogs und Online-Publishing sind die Bedingungen von Öffentlichkeit und Self-Publishing heute jedoch ganz anders als vor wenigen Jahrzehnten. Trotzdem zwingt Medwedews Manifest auch internationale Verlage in kapitalistisch-liberal geprägten Wirtschaftssystemen, ihre Entscheidungen über Veröffentlichungen unter ethischen, politischen und rechtlichen Aspekten zu hinterfragen.
"Zu einem System, welches das Wort derart devaluiert, ins Gemeine hinabzieht und profaniert, will ich nicht einmal eine indirekte Beziehung unterhalten."
Annette Gilbert vertritt im Wintersemester 2021/2022 die Professur für Internationale Literaturvermittlung und Buchwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Ihr Vortrag hat den Titel "Ohne Genehmigung. Zur Programmatik und Ethik der Selbstpublikation im Präprint- und Postprint-Samizdat". Sie hat ihn am 6. Juli 2021 als virtuellen Vortrag gehalten, im Rahmen der Reihe "Carte Blanche" des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen.