Kein Weg in die EUWie Italien Migranten in Albanien wegsperrt

Die ersten 16 Migranten sind in Italiens Flüchtlingslager in Albanien angekommen. Im Schnellverfahren außerhalb der EU sollen dort ihre Asylanträge bearbeitet werden. Europa schaut interessiert zu, wie das umstrittene Experiment ausgeht.

Im albanischen Hafen von Shëngjin, einem kleinen Tourismusort, sind die ersten Geflüchteten mit einem Schiff eingetroffen. Sie werden in zwei neu errichteten Asylzentren untergebracht. Grundlage dafür ist ein Abkommen, das Italien im vergangenen Jahr mit Albanien geschlossen hat.

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Zunächst werden Geflüchtete in einem kleineren Aufnahmelager registriert, das am Hafen des Badeörtchens steht. Danach werden sie in das Dorf Gjader im albanischen Hinterland gebracht. Dort wurde ein ehemaliger Militärflughafen zum Hauptlager mit Wohn- und Haftcontainern umgebaut. Dort gibt es auch Bereiche zum Duschen und eine Kantine.

Asylzentren in Albanien: Wohnen auf engstem Raum

Jeder Wohncontainer ist für vier Personen ausgerichtet. Es gibt zwei Stockbetten, Metallschränke und vier Plastikstühle pro Container. "Wir waren zu dritt in so einem Container und ich fand es relativ beengt", berichtet Silke Hahne, ARD-Korrespondentin für Südosteuropa. Vor der Inbetriebnahme hatte sie mit anderen Journalistinnen und Journalisten die Lager besucht.

Auch draußen ist die Aufenthaltsqualität gering, erzählt sie, das gesamte Areal ist betoniert, es gibt keine Bänke, Bäume oder Schatten. Im Sommer ist die Hitze unerträglich, ist unsere Korrespondentin sich sicher. Was vor allem auffällt: Beide Lager sind mit meterhohen Zäunen abgeriegelt. "Dieser hohe Zaun und der betonierte Boden, das hat eindeutig was von eingesperrt sein", sagt Silke.

"Das ganze Areal wurde einfach betoniert. Da stehen keine Bänke, da stehen keine Bäume. Wir standen in der prallen Mittagssonne. Es war unfassbar heiß, nirgendwo war Schatten."
Silke Hahne, ARD-Korrespondentin für Südosteuropa

Die Asylzentren wurden für Hunderte Millionen Euro von Italien gebaut und organisiert. An den EU-Beitrittskandidaten Albanien soll dafür kein Geld geflossen sein. Das Land bekomme nur eine Aufwandsentschädigung von 16 Millionen Euro pro Jahr, heißt es. Bis zu 3.000 Menschen sollen in den Zentren unterkommen können.

Die albanischen Flüchtlingslager unterliegen italienischem Recht

In den Asylzentren sollen ausschließlich volljährige, gesunde Männer aus Staaten untergebracht werden, die von Italien als sichere Drittstaaten eingestuft wurden. Das bedeutet, dass die Anerkennungsquoten für
Asylbewerber aus diesen Ländern entsprechend niedrig sind.

"Das Gebiet wurde an Italien übergeben. Da wird italienisches Recht eben angewandt und von italienischen Beamten durchgeführt. Zum Teil soll das Ganze auch über Videoverfahren ablaufen."
Silke Hahne, ARD-Korrespondentin für Südosteuropa

Das Asylverfahren in den Zentren soll im Schnelldurchgang innerhalb von 28 Tagen abgewickelt werden. Dabei wird entschieden, ob die Männer abgeschoben oder nach Italien überstellt werden. Die Zentren unterstehen italienischem Recht, das von italienischen Beamten, Richtern und Anwälten umgesetzt wird. Zum Teil erfolgen die Verfahren per Video. Das heißt, die Entscheider sind dann nicht vor Ort, sondern zum Teil in Rom, erklärt Silke.

Über Zuteilung soll auf hoher See entschieden werden

Geflüchtete sollen auf hoher See, noch in internationalen Gewässern, aufgegriffen werden, bevor sie Italien erreichen. Juristen wie Christoph Hein, Experte für internationales Recht, sehen das kritisch: Viele haben keine Pässe, sagt er, und es ist schwierig festzustellen, ob jemand Opfer sexueller Gewalt, Folter oder minderjährig ist.

"Wie soll herauskommen, ob jemand sexuelle Gewalt erfahren hat, ob er ein Folteropfer ist oder überhaupt die Minderjährigkeit festgestellt werden?"
Christoph Hein, Experte für internationales Recht

Ein weiterer kritischer Punkt der Lager ist der Rechtsbeistand, sagt Sibylle Hahne: Italien versichert, dass die Geflüchteten anwaltliche Hilfe erhalten. Dennoch bleiben viele Fragen offen, insbesondere nach internationalem Recht. Vor allem stellt sich auch die Frage, ob es rechtlich zulässig ist, die Menschen in solchen Lagern einzusperren, da dies in der EU nicht erlaubt ist, erklärt sie.

Ein zusätzliches Problem ist, wenn jemand gegen die Lager klagt – etwa ein Insasse, wobei das in der Regel nur mit Unterstützung internationaler Organisationen oder NGOs möglich ist. Die EU-Kommission jedenfalls hat erklärt, dass sie für Klagen nicht zuständig sei. Das überrascht, meint Silke Hahne, da Asylrecht eigentlich EU-Recht ist.

Menschenrechtsverstöße befürchtet

Expert*innen befürchten auch, dass sich um die Lager ein aktiver Menschenschmuggel, möglicherweise mit Unterstützung der albanischen Mafia, etablieren könnte. Laut internationalem Recht ist Albanien dafür verantwortlich, Menschenrechtsverstöße zu verhindern. Es wird aber angenommen, dass Albanien das nicht intensiv kontrollieren wird, so unsere Korrespondentin.

Zudem hat Italien die Pflicht, menschenwürdige Bedingungen in den Lagern sicherzustellen. Das hält Silke Hahne durch den Charakter einer Inhaftierung aber für fragwürdig.

Kritik von Parteien und Hilfsorganisationen

An dem Vorhaben gibt es auch viel Kritik. In Italien kritisiert die Opposition beispielsweise, dass es zu teuer sei – sie würde das Geld lieber im Gesundheitssystem verwenden. Auch die albanische Opposition ist unzufrieden und bemängelt, dass der Deal intransparent sei und ohne ausreichende öffentliche Debatte beschlossen worden sei.

In Deutschland gibt es vor allem von der CDU Zustimmung zu dem Projekt. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, äußert sich ebenfalls positiv und betont, dass die EU praktische Lehren aus dem Deal ziehen könnte. CDU-Chef Friedrich Merz bezeichnete das Projekt in einem FAZ-Interview als Vorbild und kann sich eine ähnliche Asyl-Politik in Drittstaaten für Deutschland vorstellen. Kritik kommt von den Grünen und aus den Reihen der SPD.

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Lars Castellucci von der SPD schreibt auf X, dass die Kosten zu hoch seien und die Menschenrechte eben nicht garantiert würden. Vor Menschenrechtsverletzungen warnen auch Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder das International Rescue Committee. Auch Amnesty International findet, das Lager in Albanien sei ein Schandfleck für die italienische Regierung und rechtswidrig. Kritik kommt auch von Sea-Watch Italy oder Pro Asyl.

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Ob andere Nicht-EU-Länder bereit sind, Lager auf ihrem Gebiet zu errichten, bleibt abzuwarten, meint Silke Hahne. Das Lager in Albanien ist für sie ein weiterer Schritt, mit dem die EU aufgrund rechtspopulistischen Drucks ihre juristischen Standards untergräbt.

"In meinen Augen ist das ein weiterer Schritt, mit dem die EU eigene juristischen Standards untergräbt aufgrund des rechtspopulistischen Drucks über die Jahre."
Silke Hahne, ARD-Korrespondentin für Südosteuropa

Menschen ohne juristischen Grund einzusperren, ist problematisch, sagt sie, und die EU erklärt sich trotz italienischer Verantwortung für das Lager als nicht zuständig. Hahne sieht darin ein juristisches Experiment auf Kosten der eingesperrten Menschen. Expert*innen sind gespannt, ob Klagen dieses Modell kippen könnten.