Katharina Nocun zu Verschwörungsideologien"Verschwörungsdenken erzeugt die Illusion von Kontrolle"
Verschwörungsideologien gab es schon immer. Das Netz als neuer Kanal und zuletzt die Corona-Pandemie als gesellschaftliche Herausforderung haben ihnen enormen Auftrieb verschafft. Wer verbreitet diese Mythen, woher kommt der Verschwörungsglaube, welche Folgen hat das und vor allem: Wie gehen wir damit um? Damit befasst sich die Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin, Aktivistin und Autorin Katharina Nocun.
Die große Umvolkung, Chips in Impfstoffen, Echsenmenschen – Verschwörungsideologien sind so vielseitig wie absurd. Sie nur zu Belächeln wäre ein großer Fehler, folgt man den Einschätzung von Katharina Nocun. Die Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin, Aktivistin und Autorin arbeitet schon seit Jahren zu Verschwörungsideologien und hält sie für brandgefährlich.
Verschwörungsideologien fördern rechtsextreme Radikalisierung
Verschwörungserzählungen spielen eine große Rolle bei der Radikalisierung von Rechtsextremen, warnt sie, und verweist dabei etwa auf den norwegischen Rechtsterroristen und Mörder Anders Behring Breivik oder den Attentäter von Hanau, die beide Verschwörungsmythen anhingen.
"Verschwörungsideologien spielen eine starke Rolle bei der Radikalisierung in der rechtsextremen Szene."
Das Internet spielt dabei eine große Rolle, sagt Katharina Nocun. Verschwörungserzählungen gab es zwar schon vorher, und das Netz sei auch ein sehr gutes Tool, um Fakten zu checken und Lügen zu enttarnen, betont sie. Als neuer Kanal hat es aber eben auch die Dynamik der Verbreitung verändert.
"Verschwörungsideologen nutzen Internet-Plattformen, um Lügen zu verbreiten, und da spielen Entscheidungen von Plattformen eine riesen Rolle."
Plattformen wie Youtube oder Facebook könnten daran durchaus etwas ändern – zum Beispiel durch Faktenchecks, durch die Anpassung von Empfehlungs-Algorithmen oder das Blocken von Usern, die Lügen verbreiten. Tatsächlich habe sich in den letzten Jahren auch etwas geändert – nur eben nicht genug. Die Plattformen hätten schon jetzt die Mittel, mehr zu tun, kritisiert Katharina Nocun.
Ein Problem außerdem: Die Empfehlungs-Algorithmen seien nach wie vor eine Black Box – die Zivilgesellschaft habe keine Möglichkeit, zu beurteilen, ob sie die für gut oder schlecht hält.
"Ich finde ein großes Problem ist, dass viele große Plattformen in vielen Bereichen nicht genug Kapazität reinstecken, um die Dinge zu tun, die sie schon längst tun könnten."
Allerdings: Das Löschen von Accounts etwa habe zwar einen Effekt, aber löse nicht das ganze Problem. Denn auch wenn diese Fake Facts auf den großen Plattformen dann nicht mehr auftauchten, seien sie nicht aus der Welt.
Denn: Die meisten verschwörungsideologischen aber auch rechtsextremen Gruppierungen haben einen mehrstufigen Ansatz, erklärt Katharina Nocun: Zum einen betreiben sie Websites und Social-Media Accounts. Auf diesen großen Plattformen lieferten sie meist eher weichen Content, der auf den ersten Blick harmlos wirke.
Von großen Plattformen in geschlossene Räume
Darüber zögen sie User und Userinnen auf eine andere Ebene: in Chatgruppen, auf Telegram etwa, wo dann "Klartext" geredet wird, wofür auf Insta, Youtube und Co. Strafen oder Löschung drohen würden. Der Effekt: Die Leute begrenzen sich auf eben diese geschlossenen, radikaleren Räume, wo Gegenrede nicht mehr stattfinde.
"Der Glaube an so eine große Verschwörungen ist so eine Art inneres Geländer, was man sich baut und an dem man sich festhält."
Katharina Nocun befasst sich allerdings nicht allein mit der technischen Seite der Problematik, sie interessiert sich auch für die persönlichen Gründe für Verschwörungsglauben. Die sind sehr individuell, meint sie, und auch die Verschwörungserzählungen seien sehr unterschiedlich. Studien zeigten aber, dass es einige zentrale Faktoren für das Glauben an solche Mythen gebe.
Verschwörungsglauben gibt Halt
Zum Beispiel zeigten Untersuchungen, dass wir in Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, Kontrolle zu verlieren, anfälliger sind für Verschwörungsvermutungen. Kontrollverlust kann heißen: Trennung, Jobverlust oder eben auch Pandemie-Maßnahmen.
Wenn in Lebenskrisen Halt verloren geht, suchen wir nach Halt, erklärt sie das Phänomen. Und eine Erklärung für eine schwierige Situation zu haben, die einen überfordert, könne eine Illusion von Kontrolle und damit ein Gefühl von Halt erzeugen.
"Wenn man das Gefühl hat, dass beim Gegenargumentieren der andere einem gar nicht mehr richtig zuhört, dann muss man sich klar machen: Das ist einfach deshalb, weil ich gerade gegen etwas argumentiere, was ihm psychologischen Halt gibt."
Auch aus diesem Grund sei es ein langer und mühsamer Weg, jemanden aus dem Verschwörungsdenken herauszuhelfen, erklärt Katharina Nocun.
Dieses Gefühl, Dinge besser zu verstehen als andere, auf einer Art besonders und auserwählt zu sein, einer kleinen Gruppe anzugehören, die den Durchblick hat, könne zum positiven Bestandteil des Selbstbildes werden. Das könne immun machen gegen Argumente und Fakten, die im Widerspruch zum eigenen Glauben und damit auch dem Selbstbild stehen.
"Eigentlich jeder, der sich öffentlich zum Thema Corona oder Verschwörungsideologien äußert, bekommt Drohungen aus diesem Milieu. (...) Und das macht etwas mit unserer Gesellschaft."
Die Radikalisierung durch Verschwörungsideologien ist nicht allein eine Gefahr für einzelne Menschen, sagt Katharina Nocun, die selbst Ziel von Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ist.
Das Ende der politischen Debatte?
Der gesellschaftliche Diskurs würde dadurch auch vergiftet, Feindbilder setzten sich fest, die Gesellschaft verliere eine gemeinsame Realität und damit die Grundlage für Diskussion. Im schlimmsten Falle drohe ein Ende der politischen Debatte, sagt Katharina Nocun.
"Querdenker kann man sich wie ein großes Sammelbecken vorstellen."
Katharina Nocun hat zum Thema Verschwörungserzählungen auch Bücher veröffentlich – zuletzt "True Facts: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft" mit Pia Lamberty. Im Interview mit Sebastian Sonntag spricht sie noch viel mehr Themen an. Unter anderem erzählt sie, wie sie selbst mit Morddrohungen umgeht, wie zeitgemäß die Vorstellung einer Filter-Bubble ist, und sie spricht über die Rolle der Querdenker und ihre Verbindung zu Rechtsextremen. Das ganze Interview hört ihr, wenn ihr oben auf Play klickt.