Christoph Mohr, Friedrich-Ebert-Stiftung"Militärgewalt wird die strukturellen Probleme in Kasachstan nicht lösen"
Die Demonstrationen in Kasachstan sind erst mal beendet. Doch die Probleme bleiben: Menschen klagen über zu hohe Lebenshaltungskosten; manche wollen einen Systemwandel. Wie stabil ist die vorübergehend ruhige Situation in dem asiatischen Land? Ein Gespräch mit Christoph Mohr von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Massiv gestiegene Lebenshaltungskosten hatten die Menschen in Kasachstan auf die Straße getrieben. Es kam zu gewaltsamen Protesten und auch vonseiten der Sicherheitskräfte wurde Gewalt angewendet – Präsident Qassym-Schomart Toqajew hatte der Polizei den Schießbefehl erteilt, um gegen Demonstrierende vorzugehen. Über 160 Menschen kamen ums Leben, mehr als 8.000 wurden festgenommen.
Christoph Mohr ist Regionaldirektor Kasachstan der Friedrich-Ebert-Stiftung und berichtet im Gespräch mit Deutschlandfunk-Nova-Moderator Thilo Jahn davon, dass die Demonstrationen erst einmal beendet seien uns dass sich die Situation beruhigt habe. Er gibt aber auch zu bedenken, dass die wirtschaftlichen Probleme im Land nicht gelöst.
Thilo Jahn: Herr Mohr, wie konnten aus diesen anfänglichen Unruhen gegen die gestiegenen Gaspreise solche gewalttätigen Ausschreitungen werden?
Auf der einen Seite gab es friedliche Demonstrationen, die ihren Ursprung haben. In wirtschaftlichen und politischen Fragen haben Menschen ganz konkret ihre Lebensumstände angeprangert. Das hat im Westen angefangen. Der Westen ist eigentlich die Region, die Goldkammer Kasachstans, wo die Ressourcen liegen, aber wo von diesem Wohlstand doch recht wenig ankommt.
Das hat lokal angefangen. Menschen haben sich beklagt: Unsere Lebensbedingungen funktionieren so nicht mehr. Über Nacht hat sich der Flüssiggas-Preis verdoppelt. Und seit Monaten beobachten wir enorme Preissteigerungen, gerade von Lebensmitteln.
Die Demonstrationen sind nur den gestiegenen Preisen geschuldet?
Hinzugekommen sind andere Demonstrierende, die wir schon im Jahr 2019 beobachtet haben. Das sind jene, die einen Systemwandel wollen. Sie haben, nachdem der erste Präsident (Anm. d. Red.: Nursultan Nasarbajew) nach 29 Jahren in 2019 zurückgetreten ist, gesagt: Wir wollen einen politischen Wandel, wir wollen mehr Partizipation.
Und dann sind da noch die Gewalttätigen, die Waffendepots geplündert haben, die Regierungsgebäude angezündet haben und von denen wir noch nicht genau wissen, aus welcher Motivation sie diese Straftaten begangen haben. Die Regierung spricht in diesem Zuge von organisierten Terroristen.
Wusste denn die kasachische Regierung nicht, was auf sie zukommt?
Es ist nicht so, dass die Regierung die sozialen Umstände, den Missmut nicht hat kommen sehen.
Präsident Tokajew hat kurz nach Amtsantritt versucht eine Initiative umzusetzen, mit dem Ziel zu verstehen, wie groß die sozialen Anliegen sind und welche Prioritäten die Bevölkerung hat. Das ist offensichtlich nicht gelungen.
Wie stabil ist die Regierung?
Ich glaube, Präsident Tokajew, der zweite Präsident Kasachstans, sitzt sehr wohl fest im Sattel. Mit der Hilfe der sogenannten Friedenstruppen aus dem Ausland hat er das Land unter Kontrolle gebracht. Man sieht es ja daran, dass sukzessive wieder Normalität einzieht. Aber natürlich muss man sich fragen, in welche Richtung das Land geht. Denn es ist ja irgendwo klar, dass diese strukturellen Probleme und die wirtschaftliche und politische Erneuerung nicht mit Militärgewalt gelöst werden können.