JustizEinsitzendes Russland
800.000 Menschen sitzen derzeit in russischen Gefängnissen. Menschenrechtler schätzen, dass rund ein Drittel von ihnen zu Unrecht inhaftiert sind. Um solche Fälle kümmert sich die Organisation "Rus sidjaschtschaja" - auf Deutsch "Einsitzendes Russland".
Ein Café in der Innenstadt von Moskau im Frühjahr 2015. Hier trifft DRadio Wissen Reporter Dominik Schottner auf Igor. Igor ist Ende vierzig, ein bisschen rundlich und nicht freiwillig in Moskau. Seit fünf Jahren wird er vom russischen Staat verfolgt. Eigentlich kommt Igor aus Almetjewsk in der Republik Tatarstan. Das liegt gut 1.000 Kilometer östlich von Moskau, mitten im tiefsten Russland. Dann zieht er nach Sachalin, um dort als Fischer zu arbeiten. Dann geht er mit seiner Frau und seinem Sohn zurück Richtung Westrussland, nach Tscherepowez.
An dem Tag, an dem er verhaftet wird, ist er nicht in Tscherepowez, sondern im 400 Kilometer entfernten Pereslawl-Salesski. Er sitzt in einem Restaurant, als plötzlich Polizisten auftauchen und ihn bitten mitzukommen. Sie bringen ihn in ein Polizeiauto und fahren los. Während der Fahrt erfährt Igor, dass ihm ein Diebstahl angelastet wird. Er soll im Jahr 2008 Fahrräder geklaut haben - 2.707 Stück. Allerdings würde man ihn sofort frei lassen, wenn er einen Freund von sich belasten würde. Igor weigert sich - und landet im Gefängnis.
Korruption und Willkür
Geschichten wie die von Igor gibt es an diesem Tag im Frühjahr 2015 im Dutzend. Die Organisation "Rus sidjaschtschaja" - auf Deutsch "Einsitzendes Russland" - hat das Treffen zwischen Justizopfern und Journalisten organisiert. Die Organisation wird von Olga Romanowa geleitet. Ihr erster Fall war ihr eigener Mann - Alexej Koslow, ein erfolgreicher Unternehmer. 2008 beschließt ein damaliger Geschäftspartner Alexej Koslow aus dem Unternehmen zu drängen. Er verklagt ihn. Mit Hilfe bestechlicher Beamter und Richter gewinnt er den Prozess. Koslow wird wegen Betrug und Geldwäsche zu acht Jahren Haft verurteilt.
Olga Romanowa will nicht tatenlos zusehen. Sie recherchiert und veröffentlicht ihre Ergebnisse in der "Nowaja Gaseta", der Zeitung, für die auch die ermordete Journalistin Anna Politowskaja geschrieben hat. Olga Romanowa gelingt es, ihren Mann wieder frei zu bekommen - zumindest vorübergehend. Es ist der Beginn ihres ehrenamtlichen Engagements - und der Organisation "Rus sidjaschtschaja".
"Wir stellen den Neuen zwei Fragen. Die erste: Wie kannst Du dir selbst helfen? Die zweite: Bist Du bereit, anderen zu helfen?"
Öffentlichkeit schaffen
Wer die Organisation um Hilfe bittet, muss selber bereit sein zu helfen. Das macht Olga Romanowa ganz klar. Es geht um Kleinigkeiten. Zum Beispiel Decken häkeln, die die Organisation dann verkaufen kann, um Anwälte zu bezahlen. Oder Gurken einlegen, die dann an andere Häftlinge verteilt werden können. Das ist aber nicht die einzige Bedingung. Wer "Rus sidjaschtschaja" um Hilfe bittet, verpflichtet sich, seine Geschichte öffentlich zu machen. Zum einen, damit die Organisation den Wahrheitsgehalt der Geschichten prüfen kann. Zum anderen aber auch, um etwas in der Hand zu haben gegen das System.