Jüdische ReligionsgeschichteDie Verbindungen zwischen Pessach und Ostern
Pessach und Ostern liegen fast immer nahe beieinander. Was haben diese beiden Feste gemeinsam? Wie haben sich jüdische und christliche Bräuche gegenseitig beeinflusst? Ein Vortrag des Historikers Israel Yuval.
Viele jüdische und christliche Feiertage liegen zeitlich eng beieinander ‒ Purim und Karneval, Pessach und Ostern, Weihnachten und Chanukka. Hat diese zeitliche Nähe der Feiertage auch dazu geführt, dass sich die Bräuche und Traditionen dieser Feiertage gegenseitig beeinflusst haben? Um diese Frage geht es im Vortrag von Israel Yuval.
"Hat gerade die zeitliche Begegnung auch menschliche Begegnungen hervorgebracht? Haben der Rabbiner und der Priester Ideen ausgetauscht, als sie beide ihre Predigten vorbereiteten?"
Yuval ist Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sein Forschungsschwerpunkt ist jüdische Religions- und Kulturgeschichte im Mittelalter. In seinem Vortrag argumentiert er für die These, dass die Weise, wie im Judentum Pessach gefeiert wird, von christlichen Traditionen und Einflüssen mitgeprägt wurde.
"Es gibt keinen Feiertag, der die jüdische Identität stärker bedroht als Ostern. Und keine Religion, die bedrohlicher ist als das Christentum."
Das Christentum, so Yuval, stellte traditionell die größte Bedrohung für das Judentum dar. Nicht, weil es so anders war, sondern gerade, weil Christentum und Judentum viele Gemeinsamkeiten haben, zum Beispiel, dass sie mit dem Alten Testament und der Thora gleiche heilige Schriften teilen. Israel Yuval sagt: "Es [das Christentum] hat sich die heiligen Schriften der Juden angeeignet, ihr Bewusstsein als auserwähltes Volk usurpiert, das heilige Land für sich beansprucht und ihre heilige Zeit neu interpretiert." Deshalb, so der Historiker, habe es zum Beispiel die Angst gegeben, dass die jüngere Generation zum Christentum konvertieren könnten.
Christliche Einflüsse auf Pessach-Bräuche
An Pessach gibt es heute zum Beispiel den Brauch, das Afikoman zu verstecken. Das Afikoman ist Teil eines Matzenbrotes. Es wird in ein Tuch gewickelt und während des Essens versteckt. Später wird es von den Kindern gesucht. Diese Tradition, vermutet Yuval, könnte zum Beispiel eine ironische Anspielung auf die Grablegung Christi sein.
Israel Yuval ist Professor für jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Sein Vortrag hat den Titel "Jüdisch-christliche Nachbarschaft in der Gestaltung der heiligen Zeit". Er hat ihn am 12. November 2023 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gehalten auf der Jahreskonferenz des Projekts "Synagogengedenkbuch Hessen". Veranstaltet wurde die Konferenz vom Buber-Rosenzweig-Institut für jüdische Geistes- und Kulturgeschichte der Moderne und Gegenwart und mehreren Partnern.