Journalistin Cigdem Akyol"Ich würde mich nicht wundern, wenn Erdogan gewinnt"
Trotz vieler Probleme: Die Türkei ist eine Erfolgsgeschichte, sagt Cigdem Akyol. Die Journalistin hat sich intensiv mit der Geschichte des Landes beschäftigt. Bei den anstehenden Wahlen gehe Präsident Erdogan zwar nicht als Favorit ins Rennen - trotzdem rechnet sie mit ihm.
Am 29. Oktober 2023 feiert die Türkei ihr 100-jähriges Bestehen als Nationalstaat. Gegründet durch Mustafa Kemal Atatürk, auf den Trümmern des Osmanischen Reichs. Trotz aller Schwierigkeiten hat die Türkei viele Gründe zu feiern, findet Journalistin und Autorin Cigdem Akyol. "Heute ist die Türkei ein global Player, ein Industriestaat mit einer unglaublich dynamischen Gesellschaft und ein Land, das man international nicht ignorieren kann."
"Insgesamt ist die Türkei eine Erfolgsgeschichte, ganz klar."
Gleichzeitig gibt es momentan viele gravierende Probleme, sagt die Journalistin. Die Folgen des verheerenden Erdbebens mit mehr als 50.000 Toten, die hohe Inflation, viel Arbeitslosigkeit, ein massiver Brain Drain und ein Staatsapparat, der auf eine Person ausgerichtet ist und wenig Spielraum für Widerstand lässt. "Das Vertrauen in dieses politische System ist wirklich am Wanken oder teilweise gar nicht mehr vorhanden", sagt Cigdem Akyol.
Erdogan - der ewige Präsident?
Cigdem Akyol ist als Tochter türkischer Gastarbeiter in Herne geboren und aufgewachsen. Mehrere Jahre hat sie als Journalistin aus der Türkei berichtet, unter anderem für die Deutsche Presseagentur. Nach ihrer Biografie über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sie nun ein neues Buch veröffentlicht. In "Die gespaltene Republik" beschäftigt sie sich mit der Geschichte der Türkei von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk bis zum aktuellen Präsidenten Erdogan. Der Blick in die Geschichte hilft ihr dabei, die aktuellen Entwicklungen einordnen zu können.
"Dieses Wahlergebnis wird Auswirkungen auf die EU und insbesondere auf Deutschland haben"
Am 14. Mai 2023 finden in der Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. "Es ist das erste Mal seit rund 20 Jahren, dass Erdogan und seine AKP nicht als Favorit ins Rennen gehen", so Cigdem Akyol. Alles deutet darauf hin, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden könnte.
Kilicdaroglu als aussichtsreicher Herausforderer
Es gibt Umfragen, die Erdogans Herausforderer Kemal Kilicdaroglu und sein Oppositionsbündnis aus sechs Parteien vorne sehen. Cigdem hält es trotzdem für sehr gut möglich, dass Erdogan auch der nächste Präsident sein wird. "Mit ihm ist immer zu rechnen", sagt sie. Denn Erdogan habe bisher aus jeder politischen Krise als Gewinner hervorgehen können. Außerdem befinde sich die Türkei nach den Erdbeben immer noch im Ausnahmezustand. Die Menschen sehnten sich nach Stabilität.
"Die Menschen sehnen sich nach politischer Stabilität. Mit Erdogan wissen sie, was sie haben."
Das Wahlergebnis werde auch Auswirkungen auf Deutschland haben", meint Cigdem Akyol. "Und auf Millionen Menschen, die darauf warten, wie ihre Leben weitergehen - ob sie in der Türkei bleiben, ob sie woanders einen Asylantrag stellen oder auswandern oder ob sie zurück in die Türkei gehen."
Was Erdogan stark mache: "Er gibt den Menschen das Gefühl, stolz sein zu können auf die Türkei", so die Journalistin. Es gebe viele Gründe, weshalb seine Anhänger ihn regelrecht verehren. Erdogan habe in seiner langen Amtszeit viel bewirkt, auch zum Positiven. Unter den Deutsch-Türken sei er ebenfalls sehr beliebt. Doch ob das angesichts der vielen Probleme im Land reicht für einen Wahlsieg und eine erneute Präsidentschaft, wird sich am 14. Mai zeigen.